Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
Peters Nase. Er verspürte Ärger, und fast hätte er dagegen getreten. Wenn ihn der Richter zurückwies, nun gut. Aber dieser Jude. Was bildete der sich ein? Dabei hatte er selbst doch stets nur freundlich über sie gesprochen, als während der letzten Tage der Mob tobte.
    »Paul hat schon recht«, schimpfte er halblaut vor sich hin, »sind wirklich sonderbar diese Brüder und müssen alles anders machen als wir. Ein wenig Zeit hätte er schon erübrigen können. Sitzen doch jetzt ohnehin nur zusammen und bechern und fressen sich den Wanst voll.«
    Mürrisch und hungrig strebte Peter dem Maenhartbräu zu. Auf Paul konnte er an diesem Abend auch nicht zählen, dem stand der Sinn nach einem anderen Besuch. Er würgte wortkarg einen Teller Kohlsuppe und einen Kanten Brot hinunter, spülte mit einem Humpen Greußing nach und besah sich dabei das lärmende Treiben in der Gaststube. Ihn verlangte nicht danach, sich an den derben Scherzen zu beteiligen, und ungewohnt früh machte er sich auf den Heimweg zu Pauls Behausung.
    Während er so dahinschlich, kam ihm der gescheiterte Besuch wieder in den Sinn. Aus irgendeinem Grund stellte er plötzlich Vergleiche an, und mit etwas Abstand erschien ihm seine erste nähere Berührung mit den Juden in einem anderen Licht. Es war eine eigentümlich feierliche Stimmung gewesen, lebhaft und durchaus lebendig, aber doch irgendwie würdevoll. Sie schienen ihren Ruhetag so ganz anders zu begehen, als die Christen ihren Tag des Herrn. Zwar ruhten auch diese von der Arbeit aus und gingen zum Gottesdienst, aber danach: Herr im Himmel! Peter grinste vor sich hin, als er an das laute Spektakel im Wirtshaus dachte. Es wurde viel Schlechtes über die Juden gesagt, und einiges davon mochte sogar stimmen, aber Isaak Goldstein hatte nicht als erstes ein Geschäft gewittert, hatte nicht gleich den Schacher eröffnet, sondern sich ganz dem Schabbat und der Verehrung seines Gottes gewidmet.
    Peter war plötzlich in einer sonderbaren Weise berührt, und er schämte sich ein wenig. Er hatte sich wütend und unverständig gezeigt, genauso wie all die anderen, die beizeiten ihren Haß und ihre Schmähungen über diese seltsamen Juden ergossen. Es war gewiß eine fremde Welt, aber man mußte sich auf sie einlassen, was offensichtlich nicht ganz einfach war. Was Peter irritierte, waren die merkwürdigen Behälter, die ihm an den Türpfosten aufgefallen waren. Schützten sie ihre Häuser mit einem Zauber? Er mußte bei allem Verständnis auf der Hut bleiben.
    Samstags erledigte er seine Arbeit wie gewohnt, und als Paul sich nach dem Ergebnis des gestrigen Besuches erkundigte, antwortete Peter ausweichend. Seinen Ärger wollte er nicht mitteilen, und von der Stimmung glaubte er, daß sie mit Worten nicht zu vermitteln sei, man mußte sie erleben. Er bat Paul, er möge ihn doch am nächsten Tag begleiten und hielt deshalb auch mit seinen Befürchtungen bezüglich des Zaubers an den Türpfosten hinter dem Berg.
    In der folgenden Nacht hatte Peter einen entsetzlichen Traum. Er sah einen weiten Hof vor einem alten Gemäuer, und in dem sandigen Boden scharrte eine große Zahl von Hühnern. In ihrer Mitte plusterte sich ein kräftiger, schwarzer Hahn. Und plötzlich war da ein zweiter, ein weißer, zuerst klein, aber er wuchs schnell heran und stolzierte bald ebenso kühn und forderte nun seinen Teil von der Gefolgschaft des Federviehs. Keiner war bereit nachzugeben. So entbrannte ein mörderischer Kampf, in dem die Streithähne mit ihren Schnäbeln, Krallen und messerscharfen Sporen aufeinander einhieben. Der schwarze Hahn unterlag, zog sich zurück und legte in einem Winkel des Gemäuers ein rabenschwarzes großes Ei ab.
    Während der siegreiche Gockel sich noch in die Brust warf, wuchs in dem Ei ein gräßliches Getier heran. Als in der Nacht die Schale brach, da entstieg eine Bestie, die einem Hahn mit Drachenflügeln glich; zwischen den Federn stachen überall schwarze Borsten hervor; der Schwanz war der einer Eidechse, und der Schnabel war groß und scharf wie der eines Adlers. Auf dem Kopf trug das Vieh eine rote Krone. Seine Augen aber waren giftgrün und hatten den bösen Blick, und wen es ansah, der mußte auf der Stelle sterben. Der Basilisk – kein anderes Getier verbreitet größeren Schrecken – brach in den Hof ein und wütete daselbst fürchterlich. Aber der weiße Hahn stieß ein lautes Krähen aus und stellte unerschrocken sein Federkleid auf, so daß die silberglänzende Unterseite aufblitzte.

Weitere Kostenlose Bücher