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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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geschrieben seht, heißt Schaddei und bedeutet: Allmächtiger. Doch sagt, wie kommt Ihr dabei auf Zauber? Ist es eine der Lügen, die über mein Volk verbreitet werden?«
    Das Gesicht des alten Juden zeigte eine Mischung aus Besorgnis und Grimm.
    »Nun ja, nicht wirklich«, erklärte Peter umständlich. »Es ist so: In der Stadt hat es einige abscheuliche Morde gegeben. Das ist zwar nicht ungewöhnlich, aber die Umstände waren jedesmal höchst seltsam, und es roch nach Zauberei und gar zuletzt…«
    »Die alte Mär von den Zauberjuden«, murmelte Isaak mit Betrübnis in der Stimme. »Kaum erscheint etwas widernatürlich und unerklärlich, schon erhebt der Haß auf die hebräischen Fremdlinge sein Haupt. Und diesmal wurden zudem Psalmen gefunden. Was also liegt näher…«
    »Ihr wißt davon?« fragte Paul überrascht.
    »Daß wir zurückgezogen leben, heißt nicht, daß wir auch taub und blind sind.« In Isaaks Antwort war eine gewisse Schärfe unüberhörbar. »Das Geheul der blutdürstigen Menge hallte noch bis in den letzten Winkel unserer Synagoge, während wir den Herrn um Hilfe anriefen und unsere Frauen und Kinder vor Angst schrien.«
    »Ja, also… wegen dieser Psalmen«, versuchte Peter in seiner Erklärung fortzufahren, »wollten wir mit Euch sprechen. Bruder Servatius verriet uns, daß viel Mißbrauch und Zauberei damit getrieben werde und…«
    »… da dachtet Ihr, daß schon an unseren Türpfosten die Zauberpsalmen hingen.« Isaak Goldstein strich sich mit den Fingern durch den Bart und erschien fast schon wieder amüsiert.
    »Nein, das heißt… nicht zuerst«, stotterte Peter mit hochrotem Kopf, »ich… wir… wir hielten das Gerede über Euch stets für Unsinn. Aber als ich diese Mesa… diese Behälter sah, da wurde ich plötzlich unsicher, und ich gebe zu…«
    »Schon gut«, winkte Isaak lächelnd ab. »Eure Offenheit ehrt Euch, und Bruder Servatius hat gewiß nicht unrecht. Ein trefflicher Mann übrigens, dieser Franziskaner, belesen, an tausenderlei Dingen interessiert und immer wißbegierig.« Der alte Jude beugte sich ein wenig vor, als wolle er ein Geheimnis mitteilen. »Zu mir kommt er stets, wenn er eine Schrift sucht oder einer Quelle alten Wissens bedarf, die ihm in seiner strengen Klosterzucht versagt bleibt. Er ist gewitzt, der Bruder, fürwahr und ein gutes Beispiel dafür, daß mit dem Schatz des Wissens und zunehmenden Kenntnissen über alles Ungewohnte und Andersartige auch das zarte Pflänzchen der Toleranz zu erblühen vermag. Ich wünschte mir, es gäbe mehr von seiner Art in unserer Nachbarschaft, denn er ist gewiß auch unter seinen Brüdern eine löbliche Ausnahme, unter denen sich nicht weniger als Judengeißel gebärden wie überall. Aber, was schwätze ich. Ihr seid nicht gekommen, um Euch die Klagen eines alten Mannes anzuhören. Ihr wolltet…?«
    »… die Psalmen«, erinnerte Peter.
    »Richtig, die Psalmen. Bruder Servatius wird Euch berichtet haben, daß es ganze Abhandlungen darüber gibt, wie die verschiedenen Verse zu Zauberzwecken zu gebrauchen sind. Der angestrebte Zauber dient jedoch in der Regel dem Schutz und vertreibt Dämonen und das Böse. Aber – vergebt mir meine Offenheit – es ist eine merkwürdige Eigenart von Euch Christen, daß Ihr oft das Heiligste mit dem Niederträchtigsten und somit selbst den Dienst am Herrn mit todbringendem Fluch verbindet. Das Mortbeten, vor dem Eure Prediger warnen, ist nicht Sache der Juden. Wie denn auch? Geschieht es doch während Eurer Meßfeier, die uns fremd ist.«
    »Ihr meint den hundertachten Psalm?« warf Peter fragend ein.
    »Ebendiesen, und ich will Euch noch ein anderes Beispiel geben. Ihr habt sicher von der Schwertleite des Ritters gehört und wißt dann auch, daß es ein heiliges und feierliches Zeremoniell ist.«
    Peter erinnerte sich nur zu gut daran, galt ihm doch bis vor nicht allzulanger Zeit noch all seine Sehnsucht.
    »Ich war aus naheliegenden Gründen nie zugegen«, fuhr Isaak fort, »aber während einer meiner Wanderungen vor vielen Jahren wurde ich Zeuge eines schaurigen Spektakels, das mich durch die Umkehrung des Rituals geradewegs wie Schwarzmagie anmutete. Ein Rittersmann sollte aufgrund eines Verrats seiner Ritterwürde verlustig gehen und gerichtet werden. Sie hoben ihn inmitten des Marktplatzes in voller Rüstung auf ein Blutgerüst, und zwölf Männer der Kirche stimmten die Totenvigilien an. Zuerst warfen sie seine Sporen auf den Mist, und nach jedem Gesang wurde er eines weiteren Teils

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