Der Wachsmann
Fänger sich das klebrige Gebräu aus den Augen gewischt hatte, war vom anderen schon nichts mehr zu sehen.
Doch nun ging das Gerangel erst richtig los. Peters bemühter Einsatz war wie ein längst erwartetes Signal für die rauflustigen Burschen, als hätte ein Herold einem seit Tagen bereitstehenden Entsatzheer die Fanfare geblasen. Jeder griff sich den nächstbesten, der Nachbar – eben noch mit diesem ins Gespräch vertieft – wurde unvermittelt zum Widersacher. Es wurde nach Herzenslust gerungen, geschlagen und gestoßen. Die Gründe waren zum einen Übermut und herkömmlicher Brauch, zum anderen nicht wichtig. Und die ausgerenkten Schultern, gebrochenen Finger und zerschlagenen Nasen zählten schlichtweg zu den Fährnissen des Lebens und brachten eher Ruhm als Nachteil.
Peter hielt mit beiden Händen den Riemen der Tasche fest und schleuderte sie wild herum, um sich Raum zur Flucht zu verschaffen. Agnes griff sich mit dem Geschick der erfahrenen Wirtin einen irdenen Krug und brach sich damit Bahn, während die Knaben sich hinter ihr am Rock festkrallten. Einer wütenden Athene gleich kämpfte sie sich zu Peter vor, und es gelang ihnen, nach unendlich erscheinenden Augenblicken dem wütenden Knäuel aus unzähligen Leibern zu entkommen.
Sie kämpften sich zu ihrem Wagen durch und dort erst holten sie Atem und betrachteten sich gegenseitig.
»Du lieber Himmel«, stöhnte Agnes, »wie siehst du denn aus?«
Peters Kittel war mehrfach zerrissen und stank nach Bier, aber außer ein paar Kratzern und Schürfwunden war er gut davongekommen.
»Du solltest dich mal sehen«, gab er lachend zurück, und jetzt erst bemerkte Agnes, daß ihr eine geile Hand das Kleid zerrissen und die linke Brust fast vollständig entblößt hatte. Sie raffte die übriggebliebenen Fetzen zusammen und schaute besorgt nach den Buben, die gottlob unverletzt geblieben waren.
Sie bestiegen den Wagen und lenkten die Pferde auf den Weg zurück nach München. Während Peter schützend den Arm um Agnes legte, stellten Perchtold und Heinerl auf der Ladefläche übermütig und mit grimmigen Gesichtern die gefährlichsten Kampfszenen nach.
Peter haderte ein wenig mit sich, weil ihm der Kerl entwischt war. Da fiel ihm ein, daß er ja noch immer dessen Tasche hatte, die er achtlos auf den Wagen geworfen hatte. Er griff danach und untersuchte den Inhalt, der neben einer schmalen Börse, ein paar schmutzigen Tüchern, einem Kanten Brot und einer angebissenen Wurst nichts enthielt, was die Identität des Gauners enthüllt und bestätigt hätte. Zuunterst fanden sich zwei Pergamentstücke. Es waren der Psalm und die geheime Botschaft, die ihm jemand vor Wochen bei dem Überfall entwendet hatte.
Während Peter dies als kleinen Erfolg ansah, schimpfte Agnes, mühsam ihr Kleid zusammenhaltend, auf Sankt Egidius.
»Dem Scheinheiligen werd’ ich jemals noch eine Kerze aufstecken, wenn ihn bloß trächtige Titten rühren und ihm ansonsten die Tugend einer Frau egal ist.«
»Ihm ist wahrscheinlich jede Brust genehm, ob prall oder jungfräulich, nackt oder züchtig bedeckt«, feixte Peter grinsend, »wie übrigens…« Er kam nicht mehr dazu, seine geistige Verbundenheit mit Sankt Egidius darzulegen, denn ein kräftiger Rippenstoß von Agnes trieb ihm Luft und Flausen aus.
Am folgenden Tag suchte Peter den Richter auf, um die Neuigkeit sowie die allgemeine Lage mit ihm zu erörtern. Konrad Diener war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben, aber seine Bemühungen waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Er hatte die Verdächtigen beschatten lassen, was nicht ganz einfach war, denn einmal war deren Zahl zu groß und die Anzahl seiner Knechte dafür zu gering und zum anderen blieben Spitzel in den Gassen, wo jeder jeden kannte, nicht lange verborgen. Er hatte sogar in Augsburg Erkundigungen einziehen lassen über die Geschäfte der Pütrichs und des Rabenecker im allgemeinen sowie ungewöhnlicher Weinlieferungen im besonderen. Aber die Bürger der Stadt waren mehr mit dem Herannahen Leopolds beschäftigt, als daß sie sich ernsthaft für derlei lästige Fragen interessiert hätten.
Als Peter von der mißglückten Begegnung des Vortags berichtete, horchte der Richter zunächst auf, winkte jedoch enttäuscht ab, als er erfuhr, daß der Galgenvogel nicht festgehalten werden konnte.
»Was soll ich so dem Rabenecker gegenüber behaupten?« fragte er resigniert. »Er wird sich totlachen über uns.«
»Ich weiß es auch nicht«, gestand Peter, »doch
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