Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
Montag morgen war die Landstraße nach Wasserburg belebt wie der Hauptzugang eines Ameisenhügels. Gleich hinter dem Dörfchen Straßtrudering zweigte ein ausgefahrener Weg in eine dichte Waldung ab, in der man nach einer guten Wegstunde zu Fuß das Klostergut erreichte. Die Mönche hatten dort aus Tuffquadern ein Kirchlein errichtet, wehrhaft mit starken Mauern und hochgelegenen kleinen Fenstern. Drinnen hatte Sankt Egidius ewiges Wohnrecht und ihn besuchten beileibe nicht nur die Viehhändler. Auch Bauersleute der Umgebung machten ihre Aufwartung, denn der Heilige konnte für einen schönen Herbst sorgen und die anstehende Roggenaussaat unter seinen Schutz nehmen. Die Legende wußte zu berichten, daß der fromme Einsiedler sich von Waldkräutern und der Milch einer zahmen Hirschkuh genährt hatte. Und so galt Egidius beim Volk auch als der Schutzpatron stillender Mütter, der darüber hinaus vor Unfruchtbarkeit und sonstigen Frauenleiden bewahrte. Kein Wunder also, daß auch zahlreiche Frauen zu ihm pilgerten.
    Agnes hatte vor Tagen Peter den Vorschlag unterbreitet, zusammen mit den Knaben zum Jahrmarkt zu fahren. Erst hatte Peter ein wenig über ihre dunklen Beweggründe gerätselt, schließlich aber in Anbetracht seiner jüngst gewonnenen Selbstsicherheit beherzt zugestimmt, und nun freute auch er sich über die willkommene Abwechslung, während Hilde und Else sich ins Zeug legten.
    Bei ihrer Ankunft war der Jahrmarkt schon lebhaft bevölkert, wenn auch die Zahl der Vieh-und Pferdehändler im Vergleich zu den Vorjahren erheblich geringer war, denn die Händler aus dem Salzburgischen sowie aus Österreich und Tirol blieben aus, und auch die Viehtreiber aus der Schweiz und dem Schwäbischen hatten dieses Jahr den Auftrieb gescheut. Sie befürchteten nicht ganz zu Unrecht, daß ihre Pferde, sofern sie nicht ohnehin schon requiriert waren, urplötzlich im Troß eines Heerhaufens mittraben und ihre Kälber und Ochsen durch die Mägen hungriger Soldaten wandern könnten. So waren es in der Hauptsache Viehhändler aus bayerischen Landen und aus dem Fränkischen, die den Markt beschickten, und manch Münchner Fleischhäckel unkte schon, daß sich im kommenden Winter das Verhältnis von Wurst zu Brot sehr ungünstig gestalten werde.
    Agnes und Peter schoben sich amüsiert durchs Gewühl, an der Hand jeweils einen aufgekratzten Knaben. Und insbesondere Perchtold war glücklich, daß er diesmal Peter ganz für sich hatte, von keiner jungen Hexe umgarnt und abgelenkt.
    Sie ließen sich an den langen, roh gezimmerten Tischen und Bänken nieder, an denen die frommen Brüder bewirteten. Peter hatte sich darauf gefreut, den einen oder anderen Bekannten aus seiner Zeit in Schäftlarn wiederzusehen, aber es war kein vertrautes Gesicht dabei. Dafür stieß ihn Perchtold plötzlich an und tuschelte aufgeregt: »Da drüben am übernächsten Tisch, der Dicke, das ist der Schweinehund, der mich geschlagen und entführt hat. Ich furcht’ mich.«
    Peter blickte in die angegebene Richtung und fixierte eine Weile den Dicken, dann dämmerte es ihm: Es war derselbe, der kurz nach seinem Eintritt das Wirtshaus zu Weikenried verlassen hatte, er mußte der Knecht des Rabenecker sein, kein Zweifel. Himmel, was sollte er tun? Er selbst hatte ja noch ein Huhn mit ihm zu rupfen für den Überfall und vor allem die Entführung. Aber wie sollte er es anstellen? Wäre doch nur Paul mitgekommen. Einfach so hinzugehen war zu gefährlich, und wie leicht konnte er zudem entwischen. Aber wen sollte er fragen? Wer würde seine Not augenblicklich verstehen und helfend einspringen? Die friedfertigen Mönche? Fast hätte Peter gelacht, doch in diesem Augenblick schaute der Dicke herüber, als hätte er die auf ihm ruhenden Blicke gespürt. Er stutzte, und einen Atemzug später schien auch er zu begreifen.
    Instinktiv stand Peter auf, ging zu ihm hinüber; erst langsam und bedächtig, ohne zu denken, nur handelnd; geballte Wut und gespannter Reflex. Er ließ den anderen nicht aus den Augen, näherte sich Schritt für Schritt, wurde schneller. Der Dicke rührte sich eigenartigerweise nicht von der Stelle, schien beinahe gelassen. Und als Peter ihn eben am Kittel packen wollte, da fuhr dieser in die Höhe, schüttete dem Verfolger den ganzen Inhalt seines Bierkrugs ins Gesicht und sprang unerwartet behende über die Bank. Peter bekam gerade noch die lederne Tasche des Gauners zu fassen, bevor dieser sich losreißen und entschwinden konnte. Bis der unglückliche

Weitere Kostenlose Bücher