Der Wachsmann
von den Ereignissen belehren lassen, daß Haß sich oft seltsame Bundesgenossen sucht.
Mit einem Mal war den Bürgern auch der Krieg wieder näher ins Bewußtsein gerückt. Fast einen Monat war es nun schon her, seit das Aufgebot der Stadt ins Feld gezogen war, und jeden Tag konnte die Entscheidung fallen. Mütter dachten plötzlich weniger mit Stolz an ihre Söhne, als vielmehr mit Besorgnis; Ehefrauen, die oft mühsam alleine oder mit wenigen Gesellen den Handwerksbetrieb aufrechterhielten, sehnten sich nach der glücklichen Heimkehr ihrer Männer.
Doch die Nachrichten kamen spärlich und eher als trügerisches Gerücht, denn als Wahrheit. So suchte man Auskunft zu erheischen, wo immer es ging, und Reisende und Handelsleute wurden oft schon vor den Toren von Neugierigen und Ängstlichen bestürmt. Die Wahrsagerei erlebte frische Blüte, und es ging die Kunde, daß sogar dem Henker ein altes Richtschwert abhanden gekommen sei. Man wußte, daß es Teufelsbündner gab, die mit Schwertern, mit denen viel getötet und Blut vergossen worden war, Dämonen dazu zwingen konnten, den Ausgang einer Schlacht vorherzusagen.
Und auch zwei andere Orakel gaben in jenen Tagen wieder häufiger ihre düsteren Prophezeiungen ab, zwar nicht von besorgten Bürgern bemüht, aber nichtsdestoweniger volltönend. Heinrich Füss war seit der Nachricht vom Tod seiner letzten großen Hoffnung außer Rand und Band. Er betrank sich schon morgens, wankte pöbelnd durch die Gassen und suchte allerorten Streit. Und Gottschalk lief zu neuer Hochform auf, denn der Zeitpunkt der Endschlacht schien gekommen, an dem die höllischen Geister die Könige des Erdkreises bei Armageddon versammeln zum letzten Kampf der göttlichen Gerechtigkeit gegen die Mächte der Finsternis.
Und in der Tat lagen sich die Könige mit ihren Heerhaufen inzwischen gegenüber, zwar nicht die Herrscher des gesamten Erdenrunds, aber Ludwig auf einer Anhöhe über dem Inn und Friedrich nahe dem Städtchen Mühldorf, der salzburgischen Enklave. Man erwartete nur noch die Ankunft Leopolds und seiner Truppen, bei den Österreichern voller Ungeduld, im Lager Ludwigs in tiefer Sorge.
Am Abend des zwölften September erhielt Gottschalk unerwartet Besuch. Er lag auf dem Strohsack in seiner Kammer, ließ billigen roten Fusel durch die Kehle laufen, stieß dabei wüste Drohungen aus und lallte Psalmverse vor sich hin, als sich geräuschlos die Türe öffnete und eine Gestalt in schwarzem Umhang und mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze ins Zimmer huschte. Gottschalk erschrak fast zu Tode, als er den Eindringling sah und mehr noch, als dieser die Kapuze zurückschlug und im schwachen Schein eines Kienspans sein Gesicht preisgab.
Der Pfaffe riß zunächst voller Entsetzen das Maul auf, als stünde der Leibhaftige vor ihm und stotterte dann: »Was… was wollt Ihr von mir?«
»Zunächst nur, daß du stille hältst, sonst muß ich dich töten«, drohte die düstere Erscheinung.
»Aber ich… hab’ ich nicht getan, was Ihr verlangt habt?« wimmerte Gottschalk. »Ich habe nichts verraten, bei meiner Seel’.«
»Ich bin zufrieden mit dir, keine Sorge«, erteilte der unheimliche Besucher zweifelhaftes Lob. »Nur einmal noch, einmal muß es noch sein. Dann erhältst du deinen Lohn.«
»Jesus, Maria und alle Heiligen…«, wisperte Gottschalk vor sich hin und zitterte dabei am ganzen Körper wie Espenlaub, während der ungebetene Gast dämonisch grinste und mit dem Zeigefinger winkte.
»Komm, komm hierher!«
»Erbarmen, Kyrie eleison…« Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, torkelte des Pütrichs Meßpfaffe an den rohen Tisch und ließ sich schwerfällig auf der Bank davor nieder. Der Abgesandte des Teufels hatte aus den Weiten seines Mantels bereits zwei Streifen Pergament, Tintenhorn und Feder hervorgeholt, pochte nun mit der Faust unerbittlich auf den Tisch und forderte Gottschalk auf: »Schreib!«
Am folgenden Tag ging der Frauendreißiger, die Zeit des Friedens und der Festlichkeiten zu Ehren Mariä, zu Ende. Abends trafen sich ein Gutteil der Flößer und andere Zechwillige im Maenhartbräu, und es hatte ganz den Anschein, als feierten sie das Ende besonderer Entbehrung und der langen Zeit schaler Friedfertigkeit, in der Ausschweifungen und Raufhändel verpönt waren.
In diese aufgekratzte Stimmung hinein trug der Schuster Füss seinen grimmigen Hader. Er hatte sich seit Leonharts Tod nicht mehr hier blicken lassen. Doch heute schien es fast so, als suche er unbedingt
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