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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Lebenswandel und ersann Bosheit auf seinem Lager. Er trug Unheil im Schoß und gebar die Lüge.«
    Der eifernde Pfaffe warf sich fast auf den Alois und fragte langgezogen: »W-e-r?« Und er spie die Antwort hinterher: »Der Teufel natürlich! Du willst wissen wie er aussieht?« Er rückte ausgerechnet dem Geister-Mathes so nah vors Gesicht, daß dieser erschrocken zurückfuhr.
    »Ich hab’ ihn gesehen«, verriet Gottschalk mit irrem Grinsen und kicherte wieder und fauchte dazwischen, als sei er selbst der Hölle entstiegen. »Vielleicht sieht er aus wie… du« – er stieß dem Andreas den Zeigefinger auf die Brust und wandte sich abrupt dem Benedikt zu –, »oder wie du… hicks… oder wie der da!« Er fuhr herum und wies mit drohend ausgestrecktem Arm und zitternder Hand auf den Tisch, an dem ein kreidebleicher Schuster und ein verärgert blickender Ludwig Pütrich saßen.
    Während die unfreiwilligen Zuhörer im Raum wie erstarrt schienen, lachte Gottschalk plötzlich wieder schallend und tönte schrill: »Aber sein Unheil kehrt auf sein Haupt zurück, und seine Untat fällt auf seinen Scheitel hernieder… hihi… Auf den Frevler läßt er glühende Kohlen und Schwefel regnen… haha… und im Werk seiner Hände verstrickt er sich.«
    Der wahnsinnige Prediger stolperte und stieß an den Tisch, daß mehrere Becher überschwappten. Er zog sich daraufhin den größten Krug von allen heran, schluckte gierig und besabberte sich dabei von oben bis unten. Er rülpste noch in den Krug hinein, so daß ihm ein dumpfes Echo und fauliger Atem entgegenschlugen.
    »Hure!« lallte er. »Schleimige, stinkende Hure!«
    Er wankte auf die Türe zu und riß sie auf, fuhr noch einmal herum und brüllte, die Rechte dabei wie zum Schwur erhoben: »Hüte dich, Hure Babylon! Deine Tage sind gezählt.« Er torkelte hinaus und sein irres Lachen verklang in der mondhellen Nacht.
    Die Zeugen dieses makabren Schauspiels saßen noch eine Weile schweigend und gebannt, bis erste Rufe laut wurden.
    »Armseliger Narr!… Hört nicht auf den verrückten Teufel!«
    Aber einigen war der Schreck doch gehörig in die Glieder gefahren. Peter hatte den irrwitzigen Auftritt interessiert verfolgt. Irgend etwas daran mutete ihn sonderbar an, anders als sonst. Es war nicht die Beobachtung, daß er den Tisch des Schusters unter Beschuß genommen hatte. Es war etwas anderes, Unbestimmtes und doch irgendwie ganz Klares, nur – Peter vermochte es nicht zu sagen.
    Waren es nicht doch nur einfach die wirren Sätze und Drohungen, die man von dem verrückten Pfaffen inzwischen gewohnt war, oder enthielten sie in verzerrter und von Wahnsinn entstellter Weise gar eine Botschaft? Fast hatte es wie ein Urteil geklungen, und hatte Gottschalk nicht etwas von einem fürchterlichen Gericht gefaselt? Aber das hatte er schon unzählige Male getan. Peter schüttelte die Gedanken ab und wandte sich wie die andern einem beruhigenden Schluck zu.
    Ludwig Pütrich entschuldigte sich unterdessen galant bei Agnes für das unliebsame Auftreten des Kaplans, der seiner Familie diente. Er schien noch immer leicht verärgert, schüttelte den Kopf und erklärte: »Ich muß mit meinem Bruder reden. Er bringt unserem Haus Schande und macht uns alle zum Gespött.«
    »Grämt Euch nicht«, suchte ihn Agnes zu beruhigen. »Wir haben hier schon schlimmere Auftritte erlebt. Darf’s noch ein Becher Bier sein?«
    »Ich dank’ Euch, Frau Agnes, aber für heute ist’s genug. Und ich nehme diesen Trunkenbold gleich mit, damit er wenigstens gut nach Hause kommt.« Er zog den widerstrebenden Schuster von der Bank hoch, hakte ihn unter und schleifte ihn mehr, als daß er ihn geführt hätte, aus dem Wirtshaus hinaus.
    In der Nacht zogen schwere Wolken auf, und frühmorgens begann es herbstlich zu nieseln. Als die aushäusig Beschäftigten zur Arbeit gingen und fromme Weiblein und Bittgänger sich zum Kirchgang anschickten, da ging der Niesel in heftigen Regen über.
    Während der Messe zu St. Peter erinnerte der Priester an die Rückführung des einstmals geraubten Kreuzes Christi nach Jerusalem durch Kaiser Heraklius. Die Christenheit beging seither das Fest der Kreuzerhöhung, und in feierlichem Gebet wurde des tiefen Geheimnisses gedacht. »Denn der Allmächtige hatte in seinem weisen Willen beschlossen, daß vom Kreuzesholz das Heil der Menschheit ausgehen solle. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, und so soll vom Baume des Kreuzes das Leben entstehen.«
    Als die Kirchgänger das Gotteshaus

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