Der Wachsmann
beklagen.
Furcht verbreitete sich in jener Nacht wie vor Urzeiten, als der Engel des Herrn umherging und die Ägypter schlug.
29. Kapitel
Gottschalk blieb auch den folgenden Tag über verschollen, was nicht eben zur Beruhigung der Bürgerschaft beitrug.
Am späten Nachmittag dieses Samstags kam der Mathes nach getaner Arbeit in den Maenhartbräu und setzte sich an seinen Stammplatz. Er wirkte leicht verstört und begann unaufgefordert zu erzählen: »Stellt Euch vor, was ich eben gesehen hab’: Wie ich gerade zur Stadt hinein will, da ruft irgendeiner. Ich denk’, es gilt mir und drehe mich um. Aber da ist kein bekanntes Gesicht. Statt dessen seh’ ich weit draußen, mitten zwischen den Holzlegen, einen brennenden Schaub Stroh durch die Luft fahren. Ich könnt’ nicht sagen, woher er kam, ob er sich von einem G’stör losgerissen hat oder von weither durch die Luft geflogen ist. Jedenfalls war’s unheimlich, aber gleich darauf war der Spuk auch schon vorbei.«
»Hast du wieder einmal Gespenster gesehen?« fragte Andreas lachend. »Wahrscheinlich brennt dir nur der Hut.«
»Wo nichts ist, brennt nichts, aber dein Strohkopf war’ in Gefahr«, giftete der Mathes zurück.
»Lacht nicht!« ermahnte Alois seine Zunftbrüder. »Bei den Österreichern wird erzählt, daß so ein brennender Schaub sich in eine meckernde Habergeiß verwandeln kann, und das ist gar nicht lustig, weil’s ein Totenvogel ist und Unheil bringt.«
Die Tür flog auf, und ein Knecht von der Lände platzte atemlos in die fröhliche Runde. »Es brennt… da draußen… schnell!« Er fuchtelte wild mit den Armen herum, bis ihn der Hiltpurger unterbrach: »Wo? Du närrischer Gimpel! Wo?«
»Bei den Holzlegen, schnell!« brachte der aufgeregte Bote gerade noch heraus, bevor er erschöpft auf die Bank sank und nach dem nächstbesten Becher griff.
Krüge und Bänke stürzten um, als Floßleute und Pfleger aufrumpelten. Kräftige Männer rannten, drängelten, stolperten und fielen teilweise fast übereinander. Burschen, die auf der Gasse aufmerksam wurden, reihten sich ein, und die anschwellende Rettungsmannschaft brandete mit Geschrei durchs Kaltenbachtor und auf den Grieß hinaus. Dort hielten die Schnellsten stutzig inne, so daß einige der Nachfolgenden derb aufprallten.
»Wo denn nur? Ich seh’ nichts, verdammt noch mal!«
In der Tat schlugen ihnen nirgendwo züngelnde Flammen oder vernichtende Feuersbrunst entgegen. Nur bei genauem Hinsehen ließ sich zwischen den Holzstößen an der Lände ein dünnes Rauchfähnlein ausmachen, und da standen auch ein paar Leute herum, die eifrig herbeiwinkten.
Die Menge bewegte sich darauf zu, nicht mehr rennend, aber gespannt darauf, was dieser Humbug nun wieder sollte. Zwischen zwei hoch aufgerichteten Stoßen aus Floßbäumen bot sich ihnen ein wildes Durcheinander dar aus verstreuten und verkohlten, zum Teil noch glimmenden Latten und Balken und mittendrin lag, mit dem Gesicht nach unten, die verzerrte Gestalt eines erbarmungswürdigen Mitmenschen, der allerdings keinen Schmerz mehr verspürte, denn er war tot.
Es mußte ein schreckliches Unglück geschehen sein, und Ulrich Hiltpurger fragte streng: »Was war hier los?«
Einer der Knechte berichtete, er sei zufällig auf dem Nachhauseweg vom Ländufer her in die Nähe gekommen und habe plötzlich Brandgeruch gewittert. Er sei sofort darauf zugelaufen und habe noch andere herbeigerufen. Mit Haken und Stangen hätten sie die brennenden Scheite auseinandergerissen und mit Mänteln auf den entflammten Kittel des Toten eingeschlagen. Dann seien auch schon ein paar Helfer mit wassergefüllten Ledereimern dazugekommen und so hätten sie das Feuer zwar schnell gelöscht, aber auch gleich gesehen, daß dem armen Kerl nicht mehr zu helfen sei.
»Wer ist der Unglückliche?« fragte Hiltpurger in die Runde, obwohl er die graue Kutte zu kennen glaubte.
»Ihr kennt ihn gut«, gab Peter gedankenverloren von sich, während er gleichzeitig aus einem der aufgeschichteten Floßbäume einen Nagel zog, der einen Streifen Pergament dort festhielt.
Zwei Burschen drehten den Toten soweit auf die Seite, daß sein Gesicht zu erkennen war. Ein Raunen ging durch die Umstehenden, und einige schlugen hastig das Kreuz. Gottschalk, der eifernde Prediger, war für immer verstummt.
Auf Frevler läßt er glühende Kohlen und Schwefel regnen, und Glutwind ist der ihnen angemessene Teil, las Peter halblaut vor und fügte erschüttert hinzu: »Der Prophet des Endgerichts
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