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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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paßte nicht.
    Und wie war es mit Jakob gewesen? Peter konnte sich nicht an einen eindeutigen Hinweis auf ein Sinnesorgan erinnern. Dieser verdammte Fluchpsalm schien ohnehin schon genug Rätsel aufzugeben und wurde in vielfältiger Weise ge-und mißbraucht. Am nachhaltigsten entsann sich Peter noch der Stelle mit dem Gericht, auf die auch Prior Konrad aufmerksam gemacht hatte: Wenn er gerichtet wird, gehe er als schuldig davon. Welch grausame Unerbittlichkeit, wenn selbst ein Gebet dem Schuldigen noch zur Sünde gereichen sollte.
    Verstand sich der Mörder als Stimme des Gerichts, oder gar als selbsternannter Richter? Einer, der sich anmaßte, das Recht in die Hand zu nehmen und den Menschen den Spiegel vorzuhalten, einer, der sich berufen fühlte, der Gerechtigkeit – oder was immer er dafür hielt – in Gottes Namen zum Sieg zu verhelfen? Ein bigotter Eiferer? Ein Verrückter?
    Mit einem Mal durchfuhr es Peter heiß und kalt, und eine innere Stimme schrie einen Namen wie mit Donnerhall: Gottschalk!
    Mein Gott! Keiner dachte an ihn, und alle hielten ihn nur für verrückt. Vielleicht war er’s, vielleicht stellte er sich auch nur so. Je mehr Peter sich hineindachte, desto mehr Anzeichen fand er. Gottschalk konnte Latein. Er kannte die Psalmen und führte sie ständig im Mund. Obwohl Peter sich im einzelnen nicht mehr daran erinnern konnte – zuviel hatte der Pfaffe in all den Wochen gewettert –, kam es ihm doch im nachhinein so vor, als hätten sich die Worte Gottschalks in irgendeiner Weise jeweils auf das Mordopfer bezogen.
    Und erst gestern noch hatte er wieder vom Gericht getönt und kurz bevor er hinausstürmte, hatte er da nicht schon den Tod des Schusters angedeutet, ja sogar wörtlich gesagt: Im Werk seiner Hände verstrickte er sich. Gütiger Gott! Der Schuster war mit seinem eigenen Werkzeug ans Kreuz geheftet worden! Und Gottschalk hatte von Unzucht und Ehebruch gebrüllt. Wußte er etwa von der Liebelei zwischen Heinrich Füss und Birgit Pütrich? War am Ende er das Werkzeug des alten Kaufmanns und war über ihn schließlich auch der verstockte Alte zu fassen?
    Wieder einmal Fragen über Fragen, aber diesmal würde es endlich eine befriedigende Antwort geben. Da war Peter sich ganz sicher.
    Gottschalk also! Nicht der Schuster war der Mörder.
    Peter sprang erregt auf und rannte in die Stadt zurück, um unverzüglich Konrad Diener zu unterrichten. Er hielt sich gar nicht erst bei der Lände auf, als er Paul nicht schon von weitem sehen konnte, und stürmte gleich weiter.
    Unterwegs fielen ihm noch weitere Argumente ein. Der Frauendreißiger war auf den Tag genau vom Morden ausgenommen worden. Sprach nicht auch dies für eine fromme, wenngleich irregeleitete Seele und würde auf Gottschalk passen? Und der Jude Isaak hatte auf ausufernde Kräfte der Zerstörung hingewiesen, die in tödlichen Fanatismus münden konnten. Traf dies womöglich auf Gottschalk zu?
    Konrad Diener zeigte sich zunächst überrascht, konnte sich aber rasch den Indizien anschließen und vertrat die Ansicht: »Es spielt überhaupt keine Rolle, ob der Pfaffe nun gar nicht wirklich verrückt ist oder andersherum gerade in seinem Wahnsinn äußerst konsequent und zielstrebig vorging. Es ist zwar sicherlich die Handschrift eines Verrückten, aber ganz ohne Zweifel auch planvoll ausgeführt. Habe ich das nicht immer so gesagt?« Der Richter zog lauernd die rechte Braue hoch, während Peter ein Schmunzeln unterdrückte und sich kommentarlos räusperte.
    Die Knechte des Richters schwärmten aus, pochten erst vergeblich an des Pfaffen Behausung und durchstöberten danach jeden Winkel der Stadt; doch Gottschalk konnte bis zum Einbruch der Dunkelheit nirgends gefunden werden.
    Obwohl in der Bevölkerung noch hartnäckig das Gerede von einem Zeichen des Herrn umging, durch das er den wahren Mörder offenbart habe, setzte sich zunehmend die Auffassung durch, daß der Allmächtige zwar zu allem fähig sei, sich aber für so profane Dinge wie Nägel und Ahlen einschlagen gewöhnlich doch eines irdischen Werkzeuges bediente. Und dieses Werkzeug mußte noch unter ihnen sein. Die intensive Suche der Knechte und Schergen tat ihr übriges, um zu dem Schluß zu führen: Der Pfaffe war es! Gottschalk als Rächer in Gottes Namen, als Vollstrecker seines Richterspruchs. Hatte er sie nicht Tag für Tag gewarnt, während sie ihn verlacht und verspottet hatten? Wer fiel als nächster dem Gericht anheim? Ein jeder von ihnen hatte Sünden und Schuld zu

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