Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
So verabschiedete er sich und zog Paul hinter sich her.
    Der stellte auf dem Weg zur Gaststube beiläufig fest: »Ich dachte immer, ich verstehe was von Weibern, aber diese Frau gibt mir Rätsel auf. Sie ist mit dem Alten verheiratet, hatte ein Verhältnis mit dem Schuster und behandelte vorhin ihren Schwager, als war’ er ihre einzig große Liebe. Entweder ist sie nicht ganz normal und vom Dämon geritten, oder ich hab’ einen Knoten im Gefühl.«
    Peter lachte herzhaft ob dieses Bekenntnisses und erbot sich bereitwillig, dem alten Schwerenöter diesbezüglich auf die Sprünge zu helfen, was Paul dankend ablehnte: »Eher geh’ ich ins Kloster, als daß ich mir von dir etwas über die Töchter Evas erklären lasse.«
    Sie alberten noch eine Weile, ehe Peter – nun wieder ernsthaft – bemerkte, daß ihm dies auch aufgefallen sei und überdies, daß es dem Schwager gar nicht so recht zu sein schien. Und Peter fuhr damit fort, daß ihn auch dessen Schilderung des Überfalls seltsam dünkte. »Kannst du dir vorstellen, daß ein Kaufmann alleine mit seinem Schwert einfach so drei wild entschlossene Soldaten in die Flucht schlägt?«
    »Habsburger eben«, sagte Paul schulterzuckend und verächtlich. Dann blieb er stehen, rieb sich das Kinn und betrachtete seinen Begleiter nachdenklich. »Hm, er hat ungefähr deine Größe, deine Statur, dein Hasenherz – nein, völlig ausgeschlossen!«
    Peter versetzte seinem fröhlich grinsenden Freund einen heftigen Stoß. Er hatte das Gefühl, daß da etwas war, was nicht zum Lachen diente. Es ging ihm wie bei Gottschalks letzter Predigt: Die Wahrheit schien zum Greifen nahe, und doch blieb sie wie unter einem unsichtbaren Schleier verborgen. Irgend etwas stimmte daran nicht, aber wieder einmal konnte er es nicht erklären.

30. Kapitel
     
    Die Nachricht vom Überfall auf Heinrich Pütrichs Bruder schlug ein wie der Geschoßhagel einer riesenhaften Wurfmaschine. »Es ist der Fluch des Jakob«, wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt. »Bald wird’s den Alten selbst erwischen. Dann erst hat des Flößers Seele Ruh’!«
    Wenigstens war der Mord an dem Boten, so makaber es auch klang, fernab von München geschehen und hatte mit der unheimlichen Mordserie in der Stadt nichts zu tun. Aber die Bedrohung durch einen wahnwitzigen Mörder blieb gleichwohl bestehen und wurde jetzt nur noch verstärkt durch unmittelbare Gefahr für Leib und Leben von außen. Der Rat schickte erneut einen Kundschafter aus, um sich zu vergewissern, ob es sich bei dem Überfall schon um eine plündernde Vorausabteilung des Heeres oder nur um gewöhnliche Strauchdiebe und Heckenreiter gehandelt hatte. Die Nebentore wurden ab sofort wieder dauerhaft verschlossen gehalten, an den Haupttoren verdoppelte man zur Vorsicht die Wachen.
    Der Wachsverbrauch in den Kirchen stieg beträchtlich, obwohl die Hauptleute anmahnten, man benötige die kostbaren Lichtquellen gegebenenfalls zur Erhellung der Wachstuben. Die Stadtkammer und die Opferstöcke erfreuten sich plötzlich eines beträchtlichen Geldsegens, als zur Erleichterung des Gewissens auf dem Umweg über die Beichtväter vorenthaltene Steuern und sonstige unrecht erworbene Gelder herausgerückt wurden. Reiche Bürger tätigten angesichts der Möglichkeit eines baldigen Todes großherzige Stiftungen und Almosen zur Förderung ihres Seelenheils. Man wollte in jeder Weise gerüstet sein.
    Montags um die dritte Stunde ließ Konrad Diener Peter dringlich zu sich rufen und übergab ihm ein Stück Pergament, auf das ein paar Verse gekritzelt waren. Peter überflog die Zeilen und hätte beinahe einen Luftsprung vollführt. Es war die geheimnisvolle Botschaft, aber diesmal vollständig und gut lesbar.
    »Wo habt Ihr dies her?« fragte er aufgeregt.
    »Der Bader hat es bei der Untersuchung der Leiche des Kundschafters in dessen Kleidung gefunden.«
    »Das ist großartig«, jubelte Peter, »endlich das fehlende Glied in der Kette. Welch glücklicher Zufall. Wir sind Herrn Pütrich zu Dank verpflichtet.«
    »Das wird sich erst weisen«, bremste Diener Peters merkwürdige Euphorie. »Aber wenn dieser Zettel tatsächlich auf eine Verschwörung hinweist, dann wissen wir jetzt, daß sie bis in die höchsten Kreise des Rates hineinreicht und sich selbst der Boten bedient, die die Feinde ausspähen und Kontakt zum König halten sollen. Damit ist der Zeitpunkt gekommen zuzuschlagen, denn es besteht höchste Gefahr und die gibt mir das Recht, jede Maßnahme zu ihrer Abwendung zu

Weitere Kostenlose Bücher