Der Wachsmann
ergreifen.«
»Aber… aber doch nicht jetzt«, stammelte Peter. Ihm war plötzlich gar nicht mehr fröhlich zumute.
»Wieso nicht?« fragte der Richter entschlossen und schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. »Jetzt oder nie! Ach, im übrigen habe ich mich auch beim Neuhauser Tor erkundigt, und was glaubt Ihr? Diese Birgit Pütrich ritt doch freitags um die Mittagsstunde wie der Teufel zum Tor hinaus und kehrte erst in der Dämmerung wieder! ›Unpäßlich‹ nannte sie der Alte. Da seht Ihr, wie sie mir auf der Nase herumzutanzen versuchen. Aber jetzt ist Schluß!«
»Was wollt Ihr tun?« fragte Peter besorgt.
»Meine Knechte rufen, das Pack verhaften und ihnen die Daumenschrauben anlegen. Es wird mir eine Genugtuung sein. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mitkommen.«
»Aber die Botschaft… sie ist doch noch gar nicht…« Peter hielt dem Richter fast flehentlich das Schriftstück entgegen.
»Schlagt Ihr Euch damit herum, meinetwegen. Ich gehe den direkten Weg.«
Peter packte die schiere Verzweiflung. Jetzt, wo sich alles auflösen ließe. Es war nur eine Frage der Zeit. Wenn der Richter jetzt vorpreschte, dann konnte er damit vielleicht alles verderben. Aber wie sollte man ihn zurückhalten? Er schien sich seiner Sache sicher und vom Jagdfieber ergriffen zu sein. Peter setzte alles auf eine Karte: »Wir haben zwar eine Reihe einleuchtender Vermutungen und jede Menge Verdacht, aber wir haben nicht einen einzigen handfesten Beweis. Wenn Ihr jetzt losschlagt, dann fürchte ich, daß Ihr zwar großes Aufsehen erregt, aber in wenigen Tagen die erhofften Übeltäter wieder laufenlassen müßt, denn die strenge Befragung ist – aber das wißt Ihr selbst am besten – den Gerichten der Heiligen Inquisition vorbehalten. Und damit wäre alles verloren.«
»Ah! Und Euer Rat?«
»Gebt mir noch etwas Zeit, und ich liefere Euch den Mörder und den Beweis!« Kaum war es ausgesprochen, hätte Peter sich die Zunge abbeißen mögen. Aber es war, als habe nicht er selbst gesprochen, sondern etwas aus ihm.
Der Richter staunte zunächst offenen Mundes, dann grinste er und lachte schließlich lauthals. Kopfschüttelnd und mit rückwärtig verschränkten Armen umkreiste er Peter, der verlegen lächelte und hilflos mit den Schultern zuckte.
»Ihr seid mir ein sonderbarer Vogel, und ich werd’ nicht schlau aus Euch, Peter Barth. Entweder seid Ihr verrückt und größenwahnsinnig, oder verteufelt klug und hellsichtig. Oder Ihr seid keines von beiden und nur einfältig und ein erbärmlicher Schwätzer. Oder Ihr seid nur ein gottverdammter Tor, und ich bin es nicht minder, weil ich aus irgendeinem Grund anscheinend einen Narren an Euch gefressen habe. Aber meinetwegen. Eine Woche geb’ ich Euch, nicht einen Tag längen In dieser Zeit hat unser Herr immerhin die Welt erschaffen und die Krönung seiner Schöpfung, die zuweilen zu Monstern und Ausgeburten der Hölle entartet. Nützt die Zeit!«
Peter eilte wie benommen nach Hause. Hatte er dies eben tatsächlich gesagt? Er mußte wirklich verrückt sein.
Nun, denn. Sieben Tage hatte er Zeit, und es würde ihm gelingen. Er wußte, daß die Lösung greifbar nahe lag, wenn er nur planvoll vorginge. Er suchte sich einen stillen Winkel und nahm sich als erstes die Botschaft vor, die er nun zur Gänze entziffern konnte:
Rache wird am Tag der Wahl
k und des Sto lzen Zeichen
zähle Buchs tab wäge Zahl
und Fluch se i einer Leichen
Er hatte also keineswegs daneben gelegen. Für den Jahrestag der Wahl war ein Anschlag geplant, das stand jetzt klar und deutlich vor ihm. Damit war wenigstens der Zeitpunkt schon gesichert.
Aber die nächste Zeile verwirrte ihn. Sie enthielt keinen Namen. Die fehlenden Buchstaben auf diese Weise zu ergänzen, darauf wäre er nie gekommen. Doch was sollte des Stolzen Zeichen bedeuten; wer und was waren damit gemeint? Peter hatte davon gehört, daß Friedrich von Habsburg auch den Beinamen ›der Schöne‹ trug. Schönheit und Stolz, dachte er, liegen nicht weit auseinander.
Und es hieß in dem Text, sein Zeichen werde kundgetan. Welches Zeichen? Peter verglich das Pergament mit der ersten, lückenhaften Version. Dem Schreiber war da offensichtlich ein Fehler unterlaufen; er hatte das ›k‹ zu Beginn der Zeile vergessen. Nun erhielt zwar der Vers schon mehr Sinn, aber die tiefere Bedeutung blieb immer noch verborgen. Möglicherweise war damit einfach gemeint, daß Ludwig am Jahrestag seiner Wahl auf irgendeine Weise vom Thron
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