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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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gestürzt werden sollte und daraufhin Friedrich sein Zeichen, das hieße vielleicht sein Banner oder ähnliches, aufrichten werde.
    Aber irgendwie erschien dies zu einfach, zu vordergründig. Mußte man an den Text etwa herangehen wie an die Bibel, so wie Bruder Guntram es erklärt hatte? Versteckte sich dahinter eine Allegorie, eine moralische Belehrung oder gar eine geheiligte Wahrheit?
    Unsinn, sagte sich Peter. Der Text sollte doch wohl einer Schurkerei dienen, und ein rachedurstiger Rabenecker oder wer immer dahinter steckte, würde seine Zeit nicht auf erhabene und ewige Geheimnisse verwenden. Gleichwohl erinnerte er sich des Gesprächs mit Prior Konrad. Hatte dieser nicht von kopfüber stürzenden Königen als Sinnbildern des Stolzes gesprochen? Das würde bedeuten, daß ein Sturz Ludwigs am Wahltag gleichsam ein Symbol des Stolzes an sich darstellte.
    Da fiel Peter sein Traum wieder ein. War darin nicht das schwarze Pferd, das für Rudolf stand, in den Abgrund gestürzt? Und schließlich: Konnte man nicht genausogut den Vers auch auf Friedrich beziehen? Auch sein Ringen um die Krone wurde ja von der Gegenseite, also Ludwigs Partei, als Anmaßung bezeichnet. Und nirgendwo wurde in den Zeilen klar und unmißverständlich ein Name genannt; selbst die Erwähnung einer Leiche blieb noch vage.
    Peter kam sich vor, als tappte er durch dichten, undurchdringlichen Nebel, wohl wissend, daß irgendwo vor ihm sich Abgründe auftaten und Bestien lauerten. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, den Schleier zu zerreißen, der ihm den Blick verwehrte.
    Er holte aus seiner Kammer die anderen Pergamente mit den Psalmen herbei, breitete alle zusammen auf dem Tisch vor sich aus und brütete darüber, stundenlang. Er nahm ein Stück Holzkohle vom Herd und beschmierte damit zur Freude der Magd den Tisch mit Namen und Zahlen, bis er während eines langgezogenen Seufzers mit dem Ärmel alles wieder zur Unkenntlichkeit verwischte. Er schob sämtliche Papiere verärgert zusammen, versteckte sie in seiner Kammer und lief ziellos durch die Stadt oder wanderte hinaus zur Isar, um dort Ruhe zu finden und neue Gedanken zu entwickeln. Er kehrte zurück, kramte alles wieder hervor, kritzelte auf einen Bogen Pergament Namen und Verbindungslinien, strich sie gleich darauf wütend durch, schabte das kostbare Blatt mühsam wieder blank und kombinierte aufs neue, bis er erschöpft und mit brummendem Schädel aufgab. So ging es Tag für Tag; er aß unregelmäßig, schlief schlecht, raunzte Agnes, Paul und bald jedermann an, schwankte zwischen übler Gereiztheit und bedauernswertem Trübsinn.
    Schließlich kamen ihm die verrücktesten Ideen in den Sinn. Der Urgroßvater des Königs, Ludwig der Kelheimer, war am hellichten Tag auf der Donaubrücke ermordet worden. Noch zu Peters Zeiten machten die mysteriösen Umstände an Wirtshaustischen gelegentlich die Runde und sorgten für hitzige Diskussionen. Der Mörder sollte angeblich ein dunkelhäutiger, fremdartig aussehender Einzelgänger gewesen sein, und es wurde gemunkelt, der Kaiser habe ihn von einer mörderischen Sekte im Morgenland gedungen. Dort hause ein geheimnisvoller Unbekannter, den man den ›Alten vom Berg‹ nenne. Er habe ein Heer von Meuchelmördern um sich versammelt, die sich mit gefährlichen Giften berauschten und danach unerbittlich töteten. Steckte etwa auch in diesen Tagen eine geheime Gesellschaft hinter dem verbrecherischen Vorhaben? Eine Gruppe fanatischer Sektierer, die um einer Idee willen oder aus überzeugtem Glauben heraus bedingungslos mordeten und die sich untereinander durch verschlüsselte Botschaften verständigten? Aber was in Gottes Namen hätte dann Jakob damit zu tun gehabt und sei es nur als unwissender Überbringer einer solchen Botschaft?
    Peter folgte auch nochmals der Anweisung im Text, zählte wiederholt die nun vollständige Zahl der Buchstaben, konnte aber weder die Zahl selbst noch deren Quersumme mit den Fluchpsalmen in Verbindung bringen. Es war zum Verzweifeln.
    Schließlich kam ihm der Einfall, daß vielleicht die fehlenden oder die ergänzten Buchstaben für sich genommen des Rätsels Lösung enthielten. Er schrieb diese gesondert hintereinander: amStotabi. Das ergab keinen Sinn. Mußte man ihnen in kabbalistischer Weise Zahlenwerte zuordnen? Davon verstand er leider nichts, und ihm war nicht recht wohl bei der Vorstellung, den alten Isaak damit zu behelligen.
    Peter hatte allmählich das Gefühl, je mehr er sich in die Sache vertiefte und

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