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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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boshaftes Grinsen bezeichnet.
    Heinrich Pütrich starrte auf die Tischplatte vor sich und preßte wieder die Hände zusammen. Auf einmal schien er am ganzen Körper zu zittern, wie von einem heftigen Fieber geschüttelt, und plötzlich wandte er den Kopf und starrte einen bangen Augenblick lang seinen jüngeren Bruder an. Dann sprang er mit ungeahnter Kraft auf und trat vor das rückwärtige Schränkchen, löste mit leichter Hand den Schließmechanismus, öffnete die Flügel und entnahm ein großes, aber nicht allzu dickes Buch. Er brachte die kostbare Schrift behutsam an den Tisch, nahm wieder davor Platz und legte seine Hand wie zum Schwur auf den kunstvoll mit Gold geprägten Einband.
    »So sei es denn«, flüsterte er mit tonloser Stimme.
    Peter atmete auf, und der Mönch gab Paul einen Wink, der nun zwei Hölzer hervorholte, die er die ganze Zeit unter seinem Mantel verborgen gehalten hatte. Das eine war flach und etwas kürzer und besaß an dem einen Ende über einem schmalen Hals einen kräftigen runden Knauf. Das andere Holz hatte genau in der Mitte ein Loch, zu dem vom Rand aus ein schmaler Zugang führte.
    »Er ist doch wohl unversehrt und diente nie zauberischen Zwecken?« fragte der Mönch mit besorgter Miene und deutete auf den Psalter.
    »Wo denkt Ihr hin?« erwiderte der Kaufmann entrüstet. »Weshalb fragt Ihr mich dies?«
    »Nur der Ordnung halber«, beruhigte ihn der Franziskaner. »Seid unbesorgt!« Servatius ging nun zu dem Psalter und sagte feierlich: »Wir schlagen ihn auf beim hundertsiebenunddreißigsten Vers des hundertachtzehnten Psalms, der da heißt: lustus es Domine et rectum iudicium tuum – Gerecht bist du Herr und gerecht ist dein Urteilsspruch.« An dieser Stelle legte er das flache Holz ein, klappte den Psalter zu und verschloß ihn fest mit den metallenen Bügeln. Paul hielt das lange Holz in seiner Rechten und der Mönch ergriff nun das andere Ende. Dann hob er mit der Linken am Knauf des kürzeren Holzes den Psalter vom Tisch, führte den schmalen Hals durch den Steg des langen Holzes und ließ den Knauf in das Loch sinken, das gerade um soviel kleiner war, daß der Psalter zwar fest hing, sich durch die lockere Aufhängung aber noch leicht bewegen konnte.
    Bruder Servatius forderte nun den Prüfling auf, vor das heilige Buch hinzutreten. Paul sprach daraufhin dreimal hintereinander mit Grabesstimme: »Er ist schuldig.« Worauf der Mönch gleichsam als Anwalt des Guten jedesmal erwiderte: »Er ist es nicht.« Und schließlich sagte Servatius: »Das möge uns der kundtun, durch dessen Urteil Himmel und Erde regiert werden.«
    Er wiederholte den eingangs zitierten Psalmvers und schloß daran die Bitte des dreiundfünfzigsten Gesanges Davids an: Wende das Unheil meinen Feinden zu, in deiner Redlichkeit vernichte sie! Die Anweisung, daß der Psalter sich dem Lauf der Sonne folgend drehen möge, wenn der Beschuldigte freizusprechen, andernfalls seine Schuld erwiesen sei, sowie die dem Worte innewohnende Macht des Johannesprologs: Im Anfang war das Wort…, setzten die Probe schließlich in Kraft.
    Die Zeugen des unheimlichen Rituals, das über Leben und Tod, Schuldlosigkeit und Verdammnis entschied, starrten gebannt auf das heilige Buch, während der Verdächtige selbst die Augen geschlossen hielt und Gebete murmelte. Zunächst rührte sich eine Weile überhaupt nichts, dann schien sich der Psalter zu bewegen. Erst war es nur ein kleiner Ruck, dann drehte er sich in einem Schwung um die halbe Achse und dies gemäß der Sonne Lauf.
    »Der Herr war mit Euch«, verkündete Servatius lapidar. »Eure Unschuld ist hiermit erwiesen.«
    Der alte Pütrich schlug die Augen auf, blinzelte erst ungläubig, ließ sich wortlos auf seinen Stuhl zurückfallen, faßte sich an die linke Brust und atmete schwer. Erst nach einer Weile schien er es völlig begriffen zu haben und flüsterte aufatmend: »Dem Herrn sei Dank für seine Güte.«
    Statt Erleichterung und herzlicher Anteilnahme stand in den Mienen von Birgit und Ludwig Pütrich sowie von Heinrich Rabenecker jähes Entsetzen, aber sie wagten es noch nicht, die Autorität des Priesters und des geistlichen Rituals anzuzweifeln. Erst als Bruder Servatius erklärte, um die Glaubwürdigkeit der Probe darzutun und den Beweis zu führen, daß sie keinerlei störenden Kräften ausgesetzt gewesen sei oder dämonischer Einflußnahme unterlegen hätte, müßten sich all jene im Raum, auf die auch nur der Schatten eines Verdachtes fiele, in gleicher Weise

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