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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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ihm jetzt zu nahe kam, der mußte gewärtig sein, daß Peter ihm irgendeine Aufgabe aufhalste. Die Agnes schickte er in die Sakristei von St. Peter, um dort das Tauf-und Sterbebuch einzusehen. Perchtold mußte sämtliche Bader der Stadt abklappern und im Namen Peters beim Stadtarzt Tömlinger vorsprechen. Der Richter hatte einen Boten nach Reichertshausen zu entsenden. Paul sollte sich mit einer ganz speziellen Bitte an Bruder Servatius wenden.
    Peter selbst versuchte noch immer das Rätsel zu lösen. Agnes’ kleine Boshaftigkeit hatte wie ein Blitzschlag sein Grübeln erhellt, und ihm war unversehens klargeworden, daß nur des Königs Siegel mit des Stolzen Zeichen gemeint sein konnte. Er hatte bislang stets angenommen, daß die hoheitliche Wachsscheibe nur der Botschaft mehr Gewicht verleihen und als Beglaubigung einer geplanten Schurkerei dienen sollte. Aber sie war Teil der Botschaft selbst, und nur in Verbindung mit dem Siegel würden die rätselhaften Verse einen Sinn ergeben.
    Peter war damit noch längst nicht am Ziel, und es kostete ihn erneut erhebliche Mühe, das Geheimnis zu durchdringen. Das Verrückteste aber war: Erst als er nach durchwachter Nacht seinen Widerstand, den er gegen die Scharlatanerie des Doktor Friedericus aufgebaut hatte, aufgab und anfing, auch bei dem Siegel in derselben unbekümmerten Weise die Buchstaben und Zahlen zu wägen, da war es auf einmal ganz leicht, und er fragte sich, warum er nicht schon viel früher darauf gekommen war.
    Die Botschaft selbst aber jagte ihm eisige Schauer über den Rücken. Er tat bis zum Morgengrauen kein Auge mehr zu und betete inständig, daß es nicht schon zu spät war. Noch im ersten Dämmerlicht trommelte er ungestüm den Richter aus dem Schlaf, damit dieser einen Eilboten zum König entsende.
    Danach versuchte er, bis zur vereinbarten Festnahme des Mörders ein wenig zu schlafen. Es war ein unruhiger, von Angstträumen erfüllter und wenig erfrischender Schlaf, denn das Spiel, das er nach seinem Erwachen zu spielen gedachte, konnte leicht ins Auge gehen.

31. Kapitel
     
    Düstere Wolken schoben sich über der Stadt zusammen. Peter, Paul und Bruder Servatius fanden sich im Rechtshaus ein, wo die Knechte des Richters schon bereitstanden. Heinrich, Ludwig und Birgit Pütrich sowie Heinrich Rabenecker versammelten sich im Haus der Kaufmannsfamilie, denn der Richter hatte für die sechste Stunde sein Kommen angekündigt und mit allem Nachdruck auf Anwesenheit bestanden.
    Gemessenen Schritts, in ihrer Entschlossenheit aber den apokalyptischen Reitern vergleichbar, begaben sich Konrad Diener, die beiden Pfleger und der Franziskaner sowie die Knechte und der Schreiber des Richters zum Eckhaus beim Sendlinger Turm, und eine große Zahl Neugieriger drängte hinterdrein. Der Richter klopfte zwar förmlich, trat aber auch sogleich ein. Er postierte zwei Knechte vor der Haustüre und zwei am Tor zum Hof und stieg unverzüglich ins Obergeschoß, wo die Familie schon beisammensaß.
    Es ergab sich beinahe dieselbe Sitzordnung wie vor Wochen bei dem Verhör, nur daß diesmal statt des Pütrichs Sohn Heinrich Rabenecker am Tisch saß. Und zusätzlich hatte Paul den Scherenstuhl in Beschlag genommen, während Servatius abwartend am Schreibpult lehnte, die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen.
    Und in der Mitte des Tisches lag der Wachsmann, vom Richter gleich nach seinem Eintreten dort abgelegt: Ein hutzeliges Männlein, bleich und welk wie der Tod, noch immer mit Nägeln gespickt, schaurige Erinnerung an vergangenes Morden und drohender Fluch künftigen Unheils zugleich.
    Peter fühlte sich auf einmal an die Gerichtssitzung im Rathaus erinnert, nur waren diesmal die Rollen anders vergeben, und es galt, den Mörder Jakobs und all der anderen Opfer zu überführen. Er schaute in die Gesichter der Verdächtigen und erblickte in der Miene der jungen Frau Hochmut und Kälte. Der alte Pütrich saß jetzt schon ganz gekrümmt. Sein Husten hatte sich zwar gebessert, aber er wirkte müde und ausgezehrt. Sein Blick war verfinstert und feindselig, doch Peter glaubte in dem unruhigen Flackern auch Angst zu erkennen.
    Der jüngere Bruder saß wie beim letzten Mal aufrecht und gelassen da; Haltung und Blick erweckten den Eindruck interessierten Gleichmuts. Er trug zumindest sichtbar keinen Verband mehr und schien sich von dem Angriff gut erholt zu haben.
    Heinrich Rabenecker trommelte mit den Fingern auf den Tisch, nicht nervös, eher gelangweilt. Seinen Mund

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