Der Wachsmann
verharrten in eisigem Schweigen, als das Oberhaupt des Hauses Pütrich wankte. Lag es daran, daß beim letzten Verhör noch ein jeder in irgendeiner Weise im Verdacht gestanden und sie sich deshalb gegenseitig gestützt und einander mit Ausflüchten geholfen hatten, während sich nun die erdrückende Schuldzuweisung einzig und allein gegen den alten Heinrich Pütrich richtete? Keiner kam ihm auch nur mit dem Versuch einer entlastenden Erklärung zu Hilfe. Peter schaute wieder in die Gesichter und glaubte, daß er neben Hochmut, Kälte oder Gelassenheit auch so etwas wie Genugtuung in ihnen erblickte. Zufriedenheit darüber, daß derjenige, der sie all die Jahre über gedrückt und mit harter Hand befehligt hatte, nun selbst am Abgrund stand. Der Tyrann drohte zu stürzen, und seine Knechte und Untergebenen konnten ihre Freude darüber nicht verhehlen.
Als hätte er plötzlich Mitleid mit dem Alten, bot ihm der Richter nun seinerseits einen Handel an. »Ihr berieft Euch auf Gott. So soll er denn Euer Zeuge sein. Wollt Ihr Euch einem alten Verfahren unterwerfen, das in der Lage ist, zweifelsfrei Eure Unschuld zu erweisen oder aber auch Eure Schuld, und gelobt Ihr, Euch dem Urteilsspruch in jeder Weise zu beugen?«
»Was meint Ihr damit?« fragte der Kaufmann zwar mißtrauisch, aber zugleich wieder Hoffnung schöpfend.
»Der ehrwürdige Bruder Servatius vom Orden der Minoriten wird es Euch gerne erklären.«
Der Angesprochene trat ein paar Schritte vor und begann an Heinrich Pütrich gewandt: »Obwohl der Evangelist uns ermahnt: ›Richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden‹ und an anderer Stelle sagt, daß es einzig dem Herrn ansteht zu richten über Gut und Böse, ist es doch in unserer Gemeinschaft unerläßlich, Gebote aufzustellen und den, der sie in frevelhafter Weise bricht, zu strafen und notfalls aus der Gemeinschaft auszutilgen. Aber wir Menschen sind fehlbar und so auch Richter und…« – Konrad Diener deutete mit einer ungeduldigen Handbewegung an, daß der Mönch sich nicht mit unnötigen Vorreden aufhalten solle –, »es ist daher guter, alter Brauch, den Herrn selbst um ein gerechtes Urteil zu bitten.
In früheren Tagen wurde das Ordal in etwas dumpfer Weise mit dem Schwert geschlagen oder mit der Kesselprobe ausgetragen. Doch steht uns mit der Psalterprobe ein ungleich feineres und höherwertiges Instrument der Wahrheitsfindung zur Verfügung, so daß Ihr nicht zum Schwerte greifen oder Eure Hand in siedendes Öl tauchen müßt. Nur ein Psalter ist vonnöten, und dieser gewährt Euch den unschätzbaren Vorteil, daß Gott selbst in seiner Schrift zugegen ist und zwar in Jesus Christus, so daß in jedem Psalm, in dem ein betender Gerechter seine Stimme erhebt, in Wahrheit auch Christus und seine Kirche spricht.
Ihr habt Euch, zu welchem Zwecke auch immer, gerne der Psalmen bedient, in denen solch ein Gerechter sich an den Herrn wendet, um ihm sein Leid zu klagen und das Strafgericht über seine Feinde zu erflehen. Ihr habt nun die Möglichkeit, mit den Worten des Herrn Eure Unschuld zu erweisen und das Unheil auf jene zu übertragen, die in Wahrheit schuldig sind. Seid Ihr um der Gerechtigkeit und Eurer Seele willen dazu bereit? Ihr besitzt doch einen Psalter, nicht wahr?«
Heinrich Pütrichs Miene drückte noch immer Zweifel aus. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und er preßte während seines Ringens mit sich selbst die gefalteten Hände zusammen, daß den knochigen Fingern erst jegliche Farbe entwich und danach blaurot das Blut wieder einschoß.
Peter hoffte inständig, daß der Kaufmann seine Einwilligung gab, und von unerwarteter Seite erwuchs ihm dabei Hilfe.
»Was hast du schon zu befürchten?« fragte Ludwig Pütrich, der Bruder. »Du führst seit vielen Jahren ein gottgefälliges, ja vielleicht sogar schon heiligmäßiges Leben, da du seit längerem nicht einmal mehr dein jugendliches Weib erkennst. Du fastest und betest regelmäßig, gehst täglich zur Messe und gibst Almosen, und wer möchte da noch bezweifeln, daß du besser bist, als die meisten von uns. Wovor also solltest du dich furchten?« fragte der Bruder noch einmal. »Die Probe kann doch nur deine Unschuld erweisen und uns allen den Triumph deiner Rechtschaffenheit zeigen.«
Es herrschte knisternde Spannung im Raum, aber auf den Gesichtern von Heinrich Rabenecker und Birgit Pütrich lag ein kaum merkliches Lächeln, und den Gesichtsausdruck von Ludwig Pütrich hätte Peter jetzt ohne Mühe als
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