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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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der Herberge gesittet zu benehmen – heute wurde gefeiert. Elsbeth, die Magd, war nicht zu beneiden. Sie hätte zehn Hände gebraucht, um all die Wünsche prompt zu erfüllen und sich gleichzeitig der Zudringlichkeiten geiler Zecher zu erwehren. Bei Agnes dagegen war selbst der dreisteste Säufer zurückhaltender, obwohl sie natürlich alle Experten waren in der Frage, wie man ein Weib und ganz speziell die Agnes behandeln mußte. Doch hätte es einer nur versuchen sollen, sie übers Knie zu legen, wie es besonders kecke Maulhelden als einzig richtiges Mittel zur Zähmung vorschlugen. Für die Isarflößer war klar, daß eigentlich nur einer von ihnen der Agnes beikommen konnte. Hatten sie doch tagein, tagaus das wildeste Weib zu beherrschen, das man sich nur vorstellen konnte: die Isar eben. Dabei gingen die meisten lieber morgens aufs Wasser, als abends in die eheliche Kammer, und die Jungen, die noch nicht heiraten durften oder konnten, kühlten ihr Mütchen und den erhitzten Trieb lieber bei den Hübscherinnen, als daß sie sich getraut hätten, der Agnes einen Antrag zu machen.
    Alle gafften jetzt, Augen und Maul weit aufgesperrt, als Agnes auf Peter zutrat und ihm – ungeachtet des kirchlichen Gebotes, sich am Tag der Leiden des Herrn jeglichen Fleischgenusses zu enthalten – ein besonders saftiges Stück Fleischpastete vorlegte. »Ein Gruß des Hauses zum Namenstag.« Sie stützte sich dabei mit der Hand auf seine Schulter und kam ihm verführerisch nah.
    Peter fühlte sich seit langem zu ihr hingezogen und war sich doch seiner Gefühle nicht sicher. Und jetzt war er ganz einfach verlegen, brachte kein Wort heraus, als er, von den grinsenden und feixenden Flößern beobachtet wie der Bock beim Paarungsspiel, zur Agnes aufblickte. Über zwei schwellende Kugeln hinweg, die runder und schöner waren als die goldenen Äpfel des Nikolaus, glitt sein Blick nach oben, nahm dort ein verführerisches Lächeln wahr und verlor sich in der Tiefe und verlangenden Zärtlichkeit zweier grünbrauner Augen.
    »Stärk dich, es ist noch mehr da«, holte ihn ihre samtige Stimme in die Wirklichkeit zurück. Und das Gejohle der Flößer, die sich über die Doppeldeutigkeit der Situation mit zotigen Bemerkungen ausließen, machten ihm endgültig wieder klar, wo er sich befand. Während Agnes die versoffene Bande mit einem kecken und hochmütigen Blick bedachte und sich hüftschwingend davonmachte, prasselten auf Peter gespielter Neid, Anerkennung und tausenderlei Ratschläge hernieder, denen er sich dadurch zu entziehen hoffte, daß er eine Runde frisches Bier ausgab. Sebastian knallte die vollen Halbpfunder mit unheilschwangerer Miene auf den Tisch und murmelte etwas vor sich hin, was so klang wie: »Sauft euch zu Tode, alle miteinander!«
    Eine dürre Gestalt hatte inzwischen die Wirtsstube betreten und versuchte sich am Tisch der Flößer vorbeizudrücken. Die zusammengewachsenen Augenbrauen und der verkniffene Mund gaben ihm ein finsteres Aussehen und der Umwelt zu verstehen: »Laßt mich in Ruhe!«
    Die Flößer in ihrer überschäumenden Fröhlichkeit mochten dem freilich nicht Folge leisten und hatten ihr nächstes Opfer gefunden.
    »Aaah, der Herr Calciator Füss. Die Gäste werden auch immer vornehmer.«
    »Wenn ihm ein Lachen auskommt, zahl’ ich eine Runde.«
    »Den haben seine Alten am Karfreitag gezeugt. Darum muß er seiner Lebtag griesgrämig sein.«
    Der Schuster Füss strafte die Spötter mit grimmigen Blicken, ließ sich aber zu keiner Erwiderung hinreißen. Er war Verachtung gewöhnt, auch wenn die spitzen Bemerkungen jedesmal wieder wie Nadelstiche saßen. Das war nicht immer so gewesen. Etliche Jahre zuvor hatte er noch zu den angesehensten Handwerksmeistern gezählt und zeitweilig sogar das Amt des Zunftsprechers bekleidet. Das war noch zu Rudolfs Zeiten. Der Herzog hatte vor wenigen Jahren auch das Privileg seines Vaters nochmals bekräftigt, das den Schustern den alleinigen Schuhverkauf zusicherte und den Gerbern den Lederausschnitt untersagte. Sie standen daher nahezu geschlossen hinter Rudolf, und einige ließen sich während der Unruhen nach der Königswahl auch zu Ausschreitungen hinreißen. Sie wurden dafür hart bestraft und zum Teil auch aus der Stadt gewiesen. Heinrich Füss kam zwar glimpflich davon, wurde seither aber gemieden. Er war verbittert und insgeheim noch immer Parteigänger Rudolfs. Und vor einem guten Jahr, da war auch noch sein Weib verstorben, kurz nachdem sie ihm ihr einziges Kind

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