Der Wachsmann
ja, bedroht hat er mich«, fiel der andere wieder ins Wort, »überfall en hat er mich. Ich mußte um Leib und Leben fürchten! In meinem eigenen Haus!« Der Kaufmann redete sich in Rage und stocherte mit seinem knochigen Zeigefinger in Richtung der drei vor ihm Stehenden, als wären sie ihm an den Hals gegangen. Das also war der alte Pütrich: Hager, knochig und sicher schon weit im sechsten Jahrzehnt, in seiner Wut aber so lebendig wie der geifernde Jagdhund, der das Wild stellt.
Mit Bruder und Sohn hatte Peter schon wiederholt an der Lände zu tun gehabt, nicht aber mit dem Alten. Heinrich Pütrich gehörte zu den reichsten Männern der Stadt, was seine kostbare seidene Kleidung und die schweren Ringe eindrucksvoll zur Schau stellten. Er war seit vielen Jahren angesehenes Mitglied des Inneren Rats, war ansonsten aber nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Man munkelte, er sei fromm geworden und führe eher das Leben eines Mönchs als das eines Kaufmanns. Macht mir allerdings nicht den Anschein, dachte Peter bei sich, während der Richter fortfuhr: »Jakob Krinner vermeldete, daß er Floß und Ladung, für die er die Verantwortung trug, verloren habe, erhob aber zugleich die merkwürdige Beschuldigung, daß ein gedungener Mörder dies verschuldet habe und daß er froh sein müsse, überhaupt noch am Leben zu sein.«
»Das ist eine unverschämte Lüge«, ereiferte sich Pütrich. »Er wird wieder gezecht und dann das Floß veruntreut haben. Es wäre ja nicht sein erstes Vergehen.«
Konrad Peitinger grinste seine Amtsbrüder herausfordernd und herablassend an.
»Und dann hat er auch noch seinen Lohn gefordert, weil er ihn sonst einklagen wolle. So hätte noch vor wenigen Jahren kein dahergelaufener Flößer, der noch nicht einmal Bürger meiner Stadt ist, mit mir, einem Mann von Stand, geredet. Welch Verfall der Sitten. Aber wo auch die Jugend schon regiert…«
Jetzt unterbrach der Richter den immer verächtlicher werdenden Redefluß: »Meint Ihr damit etwa Ludwig, unseren rechtmäßigen Herrn und König?« fragte er lauernd das Ratsmitglied.
»Wenn Ihr so wollt.«
»Vorsicht, Herr Kaufmann, wagt Euch nicht zu weit vor!«
Aber der war noch längst nicht am Ende: »Und diese feinen Herren hier…« – der Zeigefinger spießte Luft auf anstelle eines greifbaren Gegners –, »die sind doch mit schuld an der Entwicklung. Saufen mit dem Pöbel, anstatt ihn zu beaufsichtigen, was ihre verdammte Pflicht ist. Aber so läuft’s eben: Erst will die Gemein mitreden, bald wird wahrscheinlich der ganze Abschaum das Rathaus stürmen…«
»Ich muß Euch mit allem Nachdruck nochmals bitten, Euch zu mäßigen«, forderte der Richter, jetzt seinerseits erzürnt. »Dies hier ist mein Haus. Hier wird weder König noch Rat noch Gemein noch sonst irgend jemand beleidigt. Und verurteilt ist bis jetzt auch noch niemand. Merkt Euch das!«
»Ihr werdet’s erleben, jawohl Ihr werdet’s erleben«, maulte der Kaufmann verdrossen nach.
Die drei waren bis jetzt noch nicht zu Wort gekommen. Peter stand da, wie vom Donner gerührt, während Paul im stillen als schnelle und praktische Lösung vorschlug: Den Peitinger ersäufen, den Pfeffersack erschlagen. Ein schöner Grund für eine Doppelfeier: Braten, Bier…
Und dem Zunftmeister platzte jetzt der Kragen: »Habt Ihr uns nur deshalb gerufen, damit wir uns hier beleidigen lassen, oder gibt es noch einen anderen Grund?«
»Ihr habt doch gehört«, beschwichtigte Konrad Diener, »daß ich in meinem Hause niemanden beleidigen lasse. Ich wollte Euch das Geschehene mitteilen sowie meinen Entschluß. Zwar handelt es sich um eine Angelegenheit des Zunftrechts, jedoch wurde auch ein Mitglied des Hohen Rates geschädigt. Da ich Wichtigeres zu tun habe, lasse ich für morgen zur dritten Stunde in außerordentlicher Sitzung den Rechtsausschuß einberufen und Ihr sollt als Vertreter der Zunft beziehungsweise Amtleute der städtischen Lände zugegen sein. Bereitet Euch darauf vor und seht zu, was Ihr zu Wahrheit und Recht beitragen könnt!«
Der Richter sah damit die Unterredung als beendet an und gab dem Hausdiener ein Zeichen.
»Verzeiht, Herr«, meldete sich jetzt Peter noch zu Wort, »es ist doch Blut geflossen und sollte dann nicht…«
Das hatte dem Stadtrichter noch gefehlt, daß ihn ein gerade einmal volljähriger Pfleger auf Verfahrensfragen hinwies.
Unwirsch entgegnete er: »Eine Bluttat ist nicht erwiesen, aber es liegt auf der Hand, daß wertvolles Eigentum veruntreut
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