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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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abgeschwatzt und dem Papst am Karfreitag Pastete verkauft. Agnes schmiß den ganzen Laden mit Hingabe und Übersicht, auch wenn es ihr manchmal fast zuviel wurde. Sie kümmerte sich um Vorräte und Küche, bediente und unterhielt die Gäste, beaufsichtigte die Mägde, fädelte Handels-und Kreditgeschäfte ein, manchmal mit Eigenbeteiligung, und schließlich erzog sie auch noch ihre zwei halbwüchsigen Söhne, den Heinrich und den Perchtold. Es gab Zeiten, da fehlte ihr der Maenhart sehr, und sie sehnte sich nach ihm oder auch einfach nach einem Mann im Haus. Andererseits hatte sie auch die Vorzüge des Witwendaseins zu schätzen gelernt und wollte es mit einer Wiederverheiratung nicht überstürzen. Denn das fortschrittliche Münchner Stadtrecht kannte die Geschlechtsvormundschaft des Mannes nicht mehr, so daß nach dem Tod ihres Gatten nicht etwa ein Bruder oder Oheim über sie zu bestimmen hatte. Und da die Braumeister zwar eine lose Vereinigung, aber keine eigentliche Zunft waren, hatte ihr auch von dieser Seite keiner dreinzureden. Sie war handels-und rechtsfähig, zahlte ihre Steuern und lebte ansonsten unbehelligt ihr fröhliches Leben. Das heißt, nicht ganz, denn die jungen Mädel, die in ihr die Konkurrentin sahen, die Ehefrauen der stolzen Gockel, die in der Wirtsstube um die Agnes balzten, die Klatschweiber und Marktfrauen der Stadt, die Honoratioren, Moralapostel und abgeblitzten Verehrer, sie alle zerrissen sich lebhaft das Maul über sie. Aber das täten sie natürlich so oder so, und Agnes war es zum Glück gleichgültig.
    »Hat sie denn keinen Anstand? Will sich nicht mehr binden und nur allweil rumhuren.« So hieß es jetzt. Und da Agnes ums Jungfernkränzl auch wahrlich nicht mehr fürchten mußte, konnte sie als Witwe ihre Gunst auch großzügiger verteilen.
    »Hat sie ihrem Gatten denn nicht die Treue halten können? Kaum ist er unter der Erd’, schon verdreht sie den Burschen den Kopf und schnappt der ehrbaren Jungfer den Mann weg.« So würden sie über sie herziehen, wenn Agnes wieder vor den Traualtar träte.
    Dabei würde sich so mancher Bursch tatsächlich die Finger abschlecken, wenn er die Agnes kriegen könnte, war sie doch eine ausgezeichnete Partie. Einer, der sich den größten Hoffnungen in dieser Richtung hingab, war der Wast. Er mühte sich auch redlich, sowohl was die Arbeit als auch sein Augenmerk auf die Wirtin betraf. Aber leider war Agnes bislang so gar nicht für seine plumpe Art empfänglich. So mußte der Wast beinahe in jedem männlichen Wesen einen potentiellen Rivalen wittern, was ihn nicht gerade umgänglicher machte. Manchmal war er sogar auf die Buben der Agnes eifersüchtig, ganz besonders aber – und dies noch nicht einmal zu Unrecht – auf einen jungen Burschen namens Peter Barth.
    Der kam gerade zur Tür herein in Begleitung eines etwas kleineren, rundlichen Mannes. Sofort wurde es noch lauter in der Gaststube und großes Hallo ertönte, denn Peter und sein Begleiter Paul waren die irdischen und greifbaren Namensvettern der Apostelfürsten, deren Gedächtnis man heute beging.
    »Wo bleibt ihr denn solange? Wir wollen endlich auf euch anstoßen. Wast, schieb noch einen halben Eimer Greußing rüber und zwei Becher, aber schlaf nicht ein dabei!«
    Ganz gewiß nicht, denn jetzt würde er erst recht auf die Agnes aufpassen und sie wie ein Haftelmacher im Auge behalten. Die Floßleute rückten zusammen, nahmen die beiden Neuankömmlinge in ihre Mitte und ließen sie ein ums andere Mal hochleben.
    Andreas und Michl, Benedikt und Alois, Mathes und Leonhart, der Isarstier, Meister und Knecht, sie alle brüllten fröhlich durcheinander, überboten sich in Trinksprüchen und stießen lachend die vollen Becher zusammen, daß es nur so schwappte. Und die anderen Gäste hielten sich weiß Gott nicht zurück, denn erstens war jeder dabei, wenn es was zu feiern gab, und zweitens waren die zwei unechten Heiligen weithin in der Stadt bekannt.
    Es war in der Tat ein höchst eigenartiges Gespann.
    Peter hatte gerade erst das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet und stand in voller Blüte seiner Jugend. Er war hochgewachsen, schlank und drahtig. Dunkle Locken umrahmten ein freundliches, weiches Gesicht, das glattrasiert war, und in das das Leben noch keine Kerben gegraben hatte. Zwei sanfte, braune Augen leuchteten noch so unschuldig, daß sie bislang kaum des Bösen in der Welt ansichtig geworden sein konnten. Die enganliegenden Beinlinge waren aus dunklem Tuch geschnitten und

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