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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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in die Wiege gelegt hatte. Obwohl er beim Rabenecker im Rosental günstig als inquilinus zur Miete wohnte, fragten sich viele, wie er sein Auskommen hatte, denn sein letztes Paar Schuhe dürfte er schon vor langer Zeit verkauft haben und gegen die Konkurrenz der wendigeren Schuster im Eckhaus »Der Hamel« vorne am Markt kam er nicht mehr an. Die Flößer hätten ihm zwar eine Menge Arbeit zukommen lassen können, denn gutes Schuhwerk war Voraussetzung für sicheres und angenehmes Arbeiten im Wasser und auf dem Floß. Aber sie dachten nicht daran und versorgten ihn lieber mit Spottversen als mit Arbeit.
      Der Füss, der Füss, der lacht so honigsüß!Sein Schuh macht deine Füße hin,stecken lauter Nadeln drin.Der Füss, der Füss, der lacht so honigsüß!   Der tat nichts weniger als das. Doch während er sich vergrämt auf eine Bank in der Stubenecke fallen ließ, sprang von dort ein unerwarteter Verteidiger auf und ging drohend auf die Flößer zu. Die warnten sich schon gegenseitig mit gespieltem Entsetzen und stießen sich lachend in die Seiten. »Auweh, jetzt kommt das große Strafgericht!« Gleich darauf brach es wie ein Gewittersturm über sie herein.
    »O ihr eitles und hoffärtiges Pack! Was redet ihr falsch und verleumderisch wider diesen Gerechten? Eure Worte sind Lug und Trug. Euren Mund gebraucht ihr zur Schlechtigkeit, eure Zunge zur Täuschung. Wißt ihr nicht, was der Psalmist sagt? ›Falsches reden sie, einer mit dem anderen. Mit glatten Lippen und zwiespältigem Herzen sprechen sie. Der Herr vernichtet die Zunge, die hochfahrend redet!‹«
    »Und alle, die vergessen zu schnaufen«, warf der Mathes keck ein.
    Der Bote des Untergangs war nicht zu bremsen: »Ihr sinnt auf Böses und rühmt euch eurer frevelhaften Taten. Laßt ab davon, kehrt um, ehe die Posaune des Gerichts ertönt!«
    Die Zuhörer genossen belustigt den zornigen Auftritt, denn so sehr auch Prediger wie der große Berthold von Regensburg Zehntausende erschütterten und zu Tränen rührten, dieser Pfaffe erschütterte nur die Zwerchfelle und trieb den Sündern vor Lachen die Tränen in die Augen. Und als fühlte sich selbst der Herr durch ihn belustigt, trug er auch noch den Namen Gottschalk.
    Konrad Pütrich, der Vater des jetzigen Seniors des Handelshauses, hatte kurz vor seinem Tod gegenüber dem späteren Kloster der Franziskanermönche für sein eigenes Seelenheil und zur Versorgung einer Handvoll nobler Witwen und Jungfern, darunter die der eigenen Familie, ein Seelhaus gestiftet. Die hehren Damen lebten als Terziaren des heiligen Franz, widmeten sich dem Gebet und der Krankenpflege und wurden von einem eigenen Kaplan betreut, der ihnen die Beichte abnahm und die Messe las. Gegenwärtig hatte dieses Amt der beredte Gottschalk inne. Obwohl, wirklich beredt war er gar nicht, sondern eher schüchtern und maulfaul. Nur wenn er getrunken hatte, was in letzter Zeit immer häufiger vorkam, brach es aus ihm heraus, und der Eiferer ging mit ihm durch.
    »Wahrlich, ich sage euch, eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr…«
    »… oder ein Pfaff ins Frauenhaus«, juxte der Alois.
    Gottschalk war von unscheinbarer Gestalt und alles an ihm irgendwie grau: die schmutzigen Sandalen, der schlichte, mehrfach geflickte Rock und selbst die fahle Gesichtsfarbe. Im Halbdunkel der Kirche hätte man ihn geradezu für ein steinernes Abbild des armen Sünders halten können. Jetzt aber hatte der Alkohol die Wangen mit leuchtendem Rot überzogen, und die ansonsten fast farblose Gestalt gestikulierte wild und heftig, als müßte sie selbst anstelle des Erzengels den höllischen Drachen vernichten.
    Warum der trinkfreudige Priester noch immer sein Amt verrichtete, obwohl die noblen Damen schon morgens ob seiner Ausdünstung die Nase rümpften und sich immer häufiger beklagten, war das Geheimnis des alten Pütrich, der offenbar dem unfrommen Treiben keinen Einhalt gebot und seinen Kaplan gewähren ließ. Noch bis vor einem guten halben Jahr hatte Gottschalk auch recht ordentlich und in der Regel nüchtern seinen Dienst versehen. Man munkelte, er habe eines Nachts dem Teufel ins Auge geschaut, und seither war er immer wunderlicher geworden. Nicht wenige glaubten ihn auch schon dem Wahnsinn nahe.
    »Ihr Heuchler, was spottet ihr über den Splitter im Auge des Nachbarn, wo ihr doch selbst den größten Balken im eigenen Auge nicht seht…« Gottschalk verstummte abrupt, während er über eine Bank grölender Säufer flog. Er hatte den mächtigen Balken der

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