Der Wachsmann
Zunfthauses derzeit dort im Hinterzimmer noch ihre Zunftsitzungen abhielten.
Bier war in jenen Tagen fast noch eine Kostbarkeit. Als Hauptgetränk galt selbst beim gemeinen Mann noch immer der Wein, freilich oft ein billiger und saurer Fusel, der den Namen Wein gar nicht verdiente. Die Vergabe des Braurechtes oblag nicht etwa dem Rat, sondern war noch Lehensrecht des Landesherrn, der es als Gunst oder gegen fette Gebühren an wohlhabende Bürger verlieh. Und wer das Braurecht besaß, der wiederum mußte nicht unbedingt auch brauen, sondern konnte das Recht an einen gelernten Braumeister verpachten. Der durfte nun nicht einfach in seiner Behausung drauflos sieden und mälzen, sondern nur im dafür ausgewiesenen Bräustadel, von denen es, abgesehen von den klösterlichen Braustätten, in der alten Stadt Heinrichs des Löwen gerade mal zwei gab. Wer dort allerdings sein Bier braute, dem stand auch das Recht des Ausschanks zu.
Der junge Maenhart war ein aufgeweckter und gewitzter Bursche. Nachdem er als Brauknecht ausgelernt hatte, verdingte er sich erst als Zuschenk und besserte seinen Lohn durch Hilfsdienste beim städtischen Mauerbau auf. Als Herzog Ludwig 1313 nach Gammelsdorf ins Feld zog, kam Maenharts große Stunde. Er befand sich im städtischen Aufgebot und sorgte dabei mit für die Verpflegung des Heerhaufens. Nach dem glücklichen Ausgang der Schlacht entstanden zahlreiche Legenden. Wahr aber soll sein, daß Maenharts Bier die wackeren Streiter im Lager bei Laune hielt, so daß seiner Kunst ein beträchtlicher Teil des Erfolges zukam. Ludwig zeigte sich denn auch erkenntlich, indem er Maenhart das Braurecht verlieh. So jedenfalls erzählte es der Wirt später mit einem Augenzwinkern gerne seinen Gästen. Er wußte längst, daß das Gastgewerbe in der östlichen Erweiterung der Stadt Zukunft hatte, erstand dort nach und nach ein ganzes Eckhaus und gründete mit Zustimmung des Rats sein eigenes Bräuhaus. Und da Agnes, sein fesches Weib und die Seele des Ganzen, die Gäste bewirtete und auch beherbergte, florierte das Unternehmen rasch. Der Beruf gab der Familie schließlich auch den Namen.
Unglücklicherweise erlag Maenhart Bräu wenige Jahre später einer schweren Influenza. Seither führte die tüchtige Agnes das Wirtshaus alleine, mußte allerdings einen Zuschenk einstellen, der sich ums Bier kümmerte. Sebastian Graessel, den alle nur den Wast nannten, war treuherzig, aber etwas grobschlächtig, und das Rad hätte er nie und nimmer erfunden. Und er war so abergläubisch wie der Teufel geil. Am Gründonnerstag konnte man ihn sehen, wie er frische Brennesseln schnitt und sie im Keller um die Fässer mit jungem Bier herum verteilte. Sie sollten das kostbare Getränk davor bewahren, bei Gewitter umzuschlagen und sauer zu werden. Man sagte ihm gar nach, er habe dem Henker den Daumen eines Diebes abgeschwatzt und ihn am Galgenstrick über die Fässer gehängt, um dadurch das Bier haltbarer zu machen.
Bei aller Nachrede, eines mußte ihm der Neid lassen: Sebastian verstand etwas vom Brauen, und sein Sud stand dem des Maenhart in nichts nach. Neben kräftigem Braunbier und dem etwas schlechteren Dünn-oder Halbbier braute er vor allem Greußing, ein süffiges Weizenbier aus Malzwürze mit wenig Hopfenzusatz, das gerne getrunken wurde, obwohl es teurer war als der übliche Gerstensaft.
Trotz seiner unbestreitbaren Verdienste um die durstigen Kehlen war Sebastian wegen seiner etwas unbeholfenen und einfältigen Art im Umgang mit den Gästen immer wieder dankbare Zielscheibe gnadenlosen Spotts. Und heute hatte er besonders zu leiden, denn gleich nach der Messe füllte sich das Wirtshaus bis auf den letzten Platz, und besonders am Tisch der Flößer ging es hoch her. Glücklicherweise kam ihm immer wieder Agnes zu Hilfe, die ihn vor bissigen Bemerkungen schützte und ihm auch sonst tüchtig zur Hand ging. Agnes war überhaupt ein Phänomen. Sie war hübsch, wie es manch hochgestellte Bürgerstochter nicht war. Unter der weißen Haube quollen kastanienbraune Locken mit rötlichem Schimmer hervor. Das oben eng geschnürte Kleid konnte die volle Pracht kaum bändigen, und auch sonst hatte der Herrgott das Fleisch um Adams Rippe herum gut verteilt. Zwei braungrüne Augen sahen ihr Gegenüber keck und herausfordernd an. Sie hatte gelernt sich durchzusetzen und ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Dabei konnte sie schnurren wie ein Kätzchen und fluchen wie ein Fuhrknecht. Sie hätte dem Teufel ein Barthaar
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