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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Dienst erwies. Weitaus schlimmer aber war, daß der Tote einen abgeschnittenen Strick um den Hals trug. Es kam nicht gerade jeden Tag, aber doch immer wieder vor, daß man einen Selbstmörder einfach in eine Tonne steckte und die Isar hinabtreiben ließ. Das war es, was die Neugierigen und Gaffer jetzt wieder ängstlich zurückweichen ließ. Erst war es nur ein Gemurmel unter den Floßleuten und Ländknechten, Handwerkern und Taglöhnern, Kaufleuten und Fuhrknechten, die in weitem Rund das Faß und Peter und Paul umstanden. Es dauerte nicht lange, bis sich Wortführer gefunden hatten, die mit Nachdruck und unmißverständlich forderten: »Werft ihn wieder hinein!«
    »Er hat kein christliches Begräbnis verdient!«
    »Schmeißt ihn hinein oder wir tun’s! Ihr bringt sonst Unglück über die Stadt!«
    »Halt!« brüllte Peter, so laut er konnte, was in der angespannten Situation nicht eben viel war. Und die Stimme drohte ihm fast zu versagen. »Er ist kein Selbstmörder!«
    »Woher wollt Ihr das wissen? Der Strick sieht mir nicht gerade nach einer Stola aus!« schrie einer der Kaufleute, noch dazu ein Vertrauter der Pütrichs.
    Es war eine berechtigte Frage. Peter wollte es nur einfach nicht glauben und rief verzweifelt: »Ich, ich weiß es eben!« Im selben Augenblick stiegen in ihm die Bilder von der Gerichtsverhandlung auf. Er war schon wieder dabei, Blödsinn zu stammeln.
    Die Menge zeigte sich auch wenig beeindruckt, sondern kam Schritt für Schritt drohend näher. Schon lachten und feixten sie, und es sah so aus, als hätten sie bereits die Oberhand gewonnen. Die Rufe gingen durcheinander und wurden immer lauter und gehässiger. »Er hat den Pütrich beraubt und sich selbst umgebracht. Er ist ein Dieb und Mörder!«
    »Mörder, Mörder, Mörder…« schallte es vielstimmig.
    »Er ist zum Wiedergänger verdammt! Fort mit ihm!«
    Paul sprang unversehens auf einen der Holzstöße zu, schnappte sich einen Flößerhaken und hielt ihn drohend der Meute entgegen. »Wer näher kommt, den leg’ ich zum Jakob dazu!«
    Peter hätte seinen Freund umarmen mögen für die tatkräftige Hilfe, allein, was nützte es schon. Er bat flehentlich. »Um der Barmherzigkeit willen, haltet ein!«
    »Geh aus dem Weg oder wir wischen dich und den Dicken mit seinem Bratspieß in die Isar!«
    »Mörder, Mörder, Mörder…!«
    Plötzlich kam Peter eine Idee, und er setzte alles auf eine Karte. »Im Namen Konrad Dieners, das ist eine Angelegenheit, die nur der Stadtrichter zu entscheiden hat!« Als Peter sah, daß die drohende Welle plötzlich ins Stocken geriet, setzte er sogleich nach: »Wer sich widersetzt, den werde ich eigenhändig vors Gericht zerren!«
    Jetzt war es an Paul, sich über seinen Schützling zu wundern. Nicht schlecht, dachte er, wie der Bursche keck befehlen kann, als hätt’ er nie etwas anderes getan.
    Und Peter blieb standhaft. Er war sich zwar dessen bewußt, daß er soeben dem Konrad Peitinger als meist gehaßtem Mann an der Lände den Rang abgelaufen hatte, aber er fügte tapfer hinzu: »Geht jetzt! Wir werden die Sache dem Richter vortragen. Er muß entscheiden. Geht wieder an eure Arbeit!«
    Peter und Paul durften aufatmen. Zögernd löste sich der Ring auf, der sie eben noch umschloß und zu erdrücken drohte. Zuerst bildeten sich kleine Grüppchen, die noch lebhaft diskutierten, doch allmählich ging jeder wieder seiner Beschäftigung nach.
    Zum Glück hatte die Furcht vor unmittelbarer Bestrafung durch den Richter gegen die vagen Befürchtungen eventueller Folgen bei einer ehrbaren Bestattung des Toten dieses Mal noch obsiegt. Aber es hätte durchaus anders kommen können. Die beiden sahen sich an und lächelten.
    »Danke, Paul, du warst eine große Hilfe. Und das von vorhin…«
    »Schon gut. Bin gespannt, was der Richter sagt, wenn du so kühn in seinem Namen auftrittst. Aber mir hat’s gut gefallen.« Er klopfte dem Jüngeren anerkennend auf die Schultern. »Ich weiß ja nicht, ob’s für mein ewiges Heil gut ist, aber ich glaub’, wir waren es beide dem Jakob schuldig.«
    Zunächst aber hatten sie nur einen Teilerfolg errungen, denn keiner der Fuhrleute wollte seinen Wagen und seinen Seelenfrieden mit dieser unheimlichen Fracht belasten. Glücklicherweise standen beim Maenhartbräu Pferd und Wagen im Stall, und Peter schickte sogleich einen Boten, damit einer der Brauknechte das Fuhrwerk herbeibrachte.
    Sie luden das Faß mit dem Toten auf den Wagen und lenkten das Roß zurück zum Gasthaus. Der

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