Der Wachsmann
von sich abzulenken.«
»Ihr glaubt nicht an Selbstmord?«
»Ich kann’s mir nicht vorstellen. Dazu hat Jakob viel zu gerne gelebt. Und wie er immer von seiner Lies und den Kindern erzählt hat…«
»Würde es denn die Sache vereinfachen? Wir hätten dann nicht nur einen ungeklärten Einbruch und einen mysteriösen Todesfall, sondern ganz offensichtlich doch einen abscheulichen Mord. Und nun versetzt Euch einmal in meine Lage. Wir gehen schweren Zeiten entgegen, wenn wir den zahlreichen Berichten und Gerüchten Glauben schenken. Es steht möglicherweise Krieg ins Haus. Und wie schnell das Volk verrückt spielt, das habt Ihr heute beinahe am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ich bin aber nicht nur oberster Richter dieser Stadt, sondern in erster Linie auch unserem König verpflichtet. In dieser Eigenschaft bin ich nicht nur für die Wahrung des Rechtsfriedens, sondern auch für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zuständig. Ich kann es daher nicht angehen lassen, daß auch noch Gerüchte über einen angeblichen Mord entstehen. Versteht Ihr mich?«
Peter war noch völlig damit beschäftigt, das eben Gehörte zu begreifen und somit zu keiner schnellen Antwort fähig.
Der Richter fügte daher erklärend hinzu: »Was ich sagen will, ist: Alles deutet auf Selbstmord hin, und wir sollten es dabei belassen. Wir werden den Dieb finden und ihn zur Rechenschaft ziehen. Aber niemandem kann daran gelegen sein, einen Mord zu verfolgen, für den es nicht den geringsten Anhalt gibt.«
Peter konnte im Augenblick nur an das weitere Schicksal Jakobs denken, nicht an das, was bisher schon mit ihm geschehen war.
»Soll das heißen, wir sollen den Toten wieder in den Fluß werfen, wie es die Meute fordert? Das könnt Ihr nicht wollen. Das dient dem Frieden nicht.«
»Was schlagt Ihr vor?«
»Gebt mir die Erlaubnis, Jakob nach Hause zu bringen und für ein christliches Begräbnis zu sorgen.«
»Meinetwegen, solange Ihr damit nicht den Säckel der Stadt belastet. Ob Ihr allerdings einen Geweihten des Herrn findet, der einen Selbstmörder einsegnet, erscheint mir zweifelhaft.«
»Das laßt nur meine Sorge sein«, entgegnete Peter beinahe zu ruppig. Aber der Richter konnte die Leidenschaft des jungen Mannes verstehen.
»Dürfte ich Euch noch um ein Schreiben bitten, damit die abergläubische Bande nicht wieder über uns herzufallen versucht?«
»Ich kann Euch nicht bestätigen, daß er kein Selbstmörder ist, aber ich will gerne dafür sorgen, daß Ihr freies Geleit habt.«
Konrad Diener rief seinen Schreiber herbei und diktierte ihm ein paar Zeilen, aus denen hervorging, daß der Inhaber dieses Schreibens berechtigt war, die Leiche von Jakob Krinner in seine Heimatgemeinde Wolfratshausen zu bringen und hierbei unter höchstrichterlichem Schutz handelte. Er händigte Peter das Schreiben aus und ermahnte ihn dabei, nichts Unüberlegtes zu tun. »Wenn Ihr in dieser Sache zu neuen Schlüssen und Ergebnissen gelangt, erwarte ich, daß Ihr zu mir kommt.«
Peter nickte stumm und ging zur Türe, wo er sich mit kurzer Verneigung empfahl. Fast schon draußen, hörte er den Richter rufen: »Ehe ich’s vergesse…« Peter wandte sich um und schaute den Richter fragend an. »Ihr solltet es Euch nicht zur Angewohnheit werden lassen, in meinem Namen zu sprechen.« Der gestrenge Konrad Diener lächelte. »Nun geht!«
Peter grinste und wischte schnell hinaus, während sich der Richter nachdenklich das Kinn rieb. Er wußte nicht genau warum, aber er hatte etwas übrig für den jungen Mann. Obwohl er in mancher Hinsicht noch reichlich naiv und in seinen Entscheidungen keineswegs gefestigt erschien, war dies doch das Vorrecht der Jugend, und er durfte nicht erwarten, daß jemand Standpunkte und Zusammenhänge in seine Überlegungen miteinbezog, von denen er noch gar nichts wissen konnte. Hatte nicht er selbst, obwohl erfahrener Richter und seit einigen Jahren im Dienste des Königs und der Stadt, gelegentlich noch das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen, und beschlichen nicht auch ihn dann und wann Zweifel? Und manchmal gäbe er etwas darum, noch so impulsiv wie die Jugend entscheiden zu dürfen und das Gefühl – nicht Recht, Taktik und Zwänge – zur Richtschnur seines Handelns zu machen. Der junge Peter Barth hatte Herz und Verstand, und was noch wichtiger war, er wußte beides zu gebrauchen. »Und…« – sagte Konrad Diener lächelnd zu sich selber – »er ist ein hartnäckiges Bürschchen. Der Junge wird’s noch zu
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