Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
Flöße selbst blieben zunächst im Wasser liegen, bis sie verkauft waren. Es war Vorschrift, einen Schaub aufzustecken, ein Strohbüschel, das die Verkäuflichkeit anzeigte. Drei volle Tage, so forderte das Stapelrecht, mußte ein Floß den Münchner Bürgern zum Kauf angeboten werden, bevor es an Auswärtige verkauft oder wieder ausgeführt werden durfte. Doch in der Regel waren die Flöße schon bestellt. Die Stämme wurden auf riesigen Holzlegen gestapelt und Zimmerer und Kistler, Drechsler und Wagner, Schäffler und Betreiber von Badestuben kamen vorbei oder schickten Knechte und Gesellen mit Fuhrwerken, um ihren gewaltigen Holzbedarf zu decken. Bäcker und Brauer versorgten sich an der oberen Lände beim Westermühlbach. Flöße mit besonders schwerer Ladung, also Bausteine, Kalkfässer, Mühl-oder Wetzsteine, wurden mit Pferdegespannen an eigens dafür vorgesehenen Ufereinschnitten aus dem Wasser gezogen. Die Pfleger hatten bei Strafe darüber zu wachen, daß keinerlei Kalk isarabwärts verschoben wurde. Es war ja schon das Einsammeln der bunten, runden Isarkiesel verboten, die für die Kalköfen gebraucht wurden. So sehr war die aufstrebende Stadt um ausreichende Zufuhr ihrer dringend benötigten Baustoffe besorgt. Peter, Paul und ihre Gehilfen prüften Menge und Gewicht der Waren, maßen mit der Stange die zulässige Floßbreite, überwachten Abtransport der Bretter und rechtzeitiges Aufhacken des Brennholzes, forderten das Ländgeld ein und erhoben Liegegebühren. Zum Glück mußten sie sich nicht auch noch um den Wasserzoll kümmern.
    »Paul!«
    »Was gibt’s?«
    »Die ersten Flöße aus Tölz und Lenggries mit dem Südtiroler werden bald eintreffen, aber die Weinlände ist noch blockiert.«
    »Wieso?«
    »Da liegt noch ein Faß im Wasser. Sieht aus, als hätt’ sich’s verhängt.«
    »Sakrament! Das ist dem Peitinger sein Bereich. Bloß weil der Kerl faulenzt, müssen wir jetzt auch noch seine Arbeit machen!« Paul rief zwei Knechte zu sich und wies sie an, das Faß herauszuheben und den anderen zuzuordnen.
    Wenig später kam eine erneute Anfrage: »Wir hätten’s heraus, aber wohin damit?«
    »Ja, schaut doch nach«, grantelte Paul, »es wird doch in Gottes Namen ein Zeichen haben, wem’s gehört.«
    »Nein, gar nichts!«
    »Dann macht es auf, ihr Hohlköpfe!« brüllte Paul, und wenig später war beherztes Hämmern zu hören.
    Paul vertiefte sich wieder in die pergamentene Liste, zählte Ballen, hakte die Zahlen ab, als ihn ein markerschütternder Schrei beinahe das Schreibpult mit Tintenfaß und Feder umwerfen ließ.
    Dem Schrei folgte atemlose Stille, denn jedermann an der Lände hatte aufgehört zu arbeiten und starrte neugierig oder entsetzt in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Nur die Isar plätscherte ungerührt in die Stille hinein, als sei nichts geschehen.
    Nachdem sich die schockartige Lähmung der Gehilfen gelöst hatte, fingen sie an zu rennen, als ginge es um ihr Leben – wild gestikulierend, die Haare raufend, stotternd: »Dadada… Hilfe… der, der Teufel…!«
    Was ist nun wieder los, dachte Paul und machte sich jetzt doch selbst auf den Weg, bevor er sich das Gestammel dieser Narren anhörte.
    Peter und Paul erreichten als erste fast gleichzeitig das Faß und starrten ungläubig eine Weile hinein. Wortlos trafen sich ihre Blicke, ein jeder wußte Bescheid.
    Peter, dem noch nie die Erfahrung einer Schlacht oder Hinrichtung zugemutet worden war, hatte bislang nur wenige Tote gesehen. Aber es bedurfte keiner besonderen Erfahrung, um zu sehen, daß der Leichnam gräßlich aussah. Und es bestand kein Zweifel – der Tote war Jakob.
    Nachdem es offensichtlich war, daß kein Gehörnter aus dem Faß sprang und keine Knochenhand einem an die Gurgel fuhr, wagten sich allmählich auch die Umstehenden näher heran. Doch was sie sahen, war nicht dazu angetan, ihre Furcht zu mindern. Der Leichnam kauerte zusammengestaucht in dem Faß. Der Kopf war grotesk verrenkt, so daß das Gesicht nach oben zeigte. Es hatte linksseitig noch die blaugrüne Verfärbung wie bei der Gerichtsverhandlung, doch war es jetzt überall auch deutlich aufgedunsen. Die Haare hingen in wirren Büscheln ins Gesicht, verdeckten aber nicht die nach oben starrenden, glanzlosen Augen. Der Unterkiefer war verschoben, die Zunge steckte zwischen den Zähnen. Kurz: Es war eine schreckliche Fratze.
    »Sie haben ihm nicht einmal die Augen geschlossen«, murmelte Peter tonlos, während er hinzutrat und diesen letzten

Weitere Kostenlose Bücher