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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Torwächter machte Anstalten, sie zurückzuhalten, und nur das sichere Auftreten Peters mit einem erneuten Berufen auf Konrad Diener schaffte den Weg frei. Aber es würde nicht lange dauern, bis die Wache die Schergen des Richters verständigt hätte.
    Schon kam Agnes mit wehenden Röcken gelaufen und schmiegte sich an Peter, als gelte es ihn zu trösten und sich zugleich zu versichern, daß ihm nichts geschehen war.
    Paul lud eben mit Hilfe des Knechtes das Faß ab, als auch Sebastian Graessel hinzu trat. Er blickte finster drein, als erwarte er eine erneute Schurkerei gegen sich, seine Miene erhellte sich jedoch schlagartig beim Anblick des Toten. Der Grund dafür war allerdings weniger Schadenfreude, wie man zunächst vermuten konnte. Nein, die Augen des Wast richteten sich begehrlich auf den Strick um den Hals des Erhängten, denn damit ließ sich hervorragender Abwehrzauber bewirken, was Qualität und Ruf seines Bieres mehren würde. So waren es weniger Mitleid oder Ergriffenheit, die ihn dazu bewogen, den Strick zu entfernen, sondern kalte Berechnung. Es war kein Knoten, der sich leicht lösen ließ oder eine saubere Schlaufe, durch die das Ende des Seils zur Bildung einer beweglichen Schlinge gezogen war. Der Zuschenk holte kurzerhand ein Messer hervor, durchtrennte den Strick und trollte sich mit seiner Trophäe in den Keller.
    Die Umstehenden hatten ihm zwar erstaunt und verständnislos zugesehen, ihn aber gewähren lassen. Jetzt scheuchte Agnes ihre herbeigelaufenen Buben wieder ins Haus und die Magd in die Küche, um heißes Wasser zu holen. Die Männer suchten im Schuppen nach zwei Holzböcken und Brettern und errichteten damit einen einfachen Tisch. Sie kippten das Faß zur Seite, zogen den Leichnam vorsichtig heraus und hoben ihn auf die Tafel. Während im Faß die Gestalt des Toten noch in grotesker Weise verrenkt war, ließen sich die erschlafften Glieder nun in würdigerer Haltung anordnen.
    Nachdem dies getan war, forderte Agnes die beiden Helfer auf, sich sogleich zum Stadtrichter zu begeben, um ihm in ihrer Eigenschaft als Pfleger der städtischen Lände von den Vorfällen zu berichten. Sie würde schon alleine hier zurechtkommen, während das andere keinen Aufschub duldete. Zögerlich folgten die beiden der Aufforderung, obwohl sie selbst sehr wohl wußten, was ihre Pflicht war. Aber keiner hatte so recht Lust, dem Richter unter die Augen zu treten, und wahrscheinlich saß da auch dieser Pütrich schon wieder herum.
    »Einer von uns sollte sich vielleicht um die Lände kümmern, ist sonst völlig unbeaufsichtigt«, druckste Paul herum, insgeheim längst tapfer entschlossen, daß er sich dieser wichtigen Aufgabe stellen würde.
    »Oh, ich kann das gerne übernehmen«, bot Peter bereitwillig an. Er war nicht erpicht darauf zu erfahren, was der Richter von seiner zweifachen Amtsanmaßung hielt. Und er war sich sicher, daß es ihm längst jemand zugetragen hatte.
    »Weißt du«, versicherte jetzt Paul mit honigsüßer Stimme, »ich war ja immer der Meinung, daß du der bessere Redner von uns beiden bist. Und es gibt Dinge, da gebührt ganz einfach der Jugend der Vorrang.«
    »Schuft!« entfuhr es Peter, grinsend über soviel Schlitzohrigkeit. »Aber das nächste Mal bist du dran und wenn’s zum Henker geht!«
    Wenig später betätigte Peter den schweren Türklopfer an Konrad Dieners Pforte. Der Hauswart hatte ihn kaum angekündigt, als des Richters tiefe Stimme auch schon ungeduldig polterte: »Soll reinkommen!«
    Peter schlich eher über die Schwelle, als daß er wacker eingetreten wäre, verbeugte sich flüchtig und blieb gleich neben der Türe stehen.
    »Kommt, kommt, tretet näher! Heute wird noch nicht gehenkt.«
    Peter wußte erst nicht recht, ob die Bemerkung scherzhaft oder drohend gemeint war. Erst als ihn der Richter einlud, an dem großen Tisch Platz zu nehmen, entspannte er sich ein wenig. Konrad Diener war diesmal alleine. Vielleicht war er deshalb weniger streng und förmlich.
    »Gefällt mir nicht, was sich hier zusammenbraut, gefällt mir ganz und gar nicht! Und ich fürchte, ich muß mich jetzt selber darum kümmern. Doch erzählt erst Ihr!« Der Richter lehnte sich zurück und erwartete den Bericht. Peter schilderte ausführlich die Entdeckung von Jakobs Leiche und wie sich die Vorgänge danach dramatisch zugespitzt hatten.
    »Jaja«, bestätigte Konrad Diener wissend, »das Volk richtet schnell. Manchmal gerecht, viel häufiger aber irrig und von Leidenschaften verführt. Das

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