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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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der Gaststube. Sebastian Graessel hätte sich nur zu gerne angeschlossen, durfte und wollte aber seine Wirtin nicht im Stich lassen. So sann er heimlich auf Rache und hätte den verhaßten Säufern am liebsten ins Bier geschifft, wenn es der Stolz auf sein eigenes Gebräu nur zugelassen hätte.

6. Kapitel
     
    Am Montag morgen holte ein zwar verschlafener, aber gut gelaunter Paul einen ausgeschlafenen, aber mürrischen Peter ab. Lag es an den Ereignissen der letzten Tage, am gestrigen Besäufnis oder an der frühen Morgenstunde des Montags, der weithin als Unglückstag galt? Peter wußte es selbst nicht. Er spürte nur, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Einsilbig trottete er auf dem Weg zur Lände neben Paul einher, stieß hie und da mit der Fußspitze einen Stein aus dem Weg, als trüge dieser die Schuld für alles, und grüßte kaum den Torwächter, für den er sonst stets ein freundliches Wort hatte. Kurz bevor Peter endgültig im Weltschmerz zu versinken drohte, riß Paul die Geduld. Er blieb abrupt stehen, hielt Peter am Arm zurück und fuhr ihn an: »Was ist los mit dir? Du läufst die ganze Zeit neben mir her, als hätte ich die Pest oder den Aussatz. Wenn du wütend auf mich bist, dann sag es, aber zieh kein Gesicht wie ein schmollender Esel!«
    Jetzt brachen in Peter sämtliche Dämme. »Du, du elender Saufkopf! Dem Jakob geht’s dreckig, und du weißt nichts Besseres zu tun, als dich in der Schenke zum Narren zu machen. Darf ich vorstellen, Pangraz Knoll, der Komödiant«, giftete er spitz und vollführte dabei eine lächerliche Verbeugung. »Du… du warst immer so was wie ein Vorbild für mich, aber jetzt… schämen solltest du dich!« Die letzten Worte waren kaum vernehmbar, und Peter war den Tränen näher, als einem erneuten Angriff.
    »Oha, aus dieser Richtung weht also der Wind.« Jetzt spannte Paul den Bogen und schoß mit Worten, die wie ein Pfeilhagel auf Peter niederprasselten. »Der feine Herr Barth ist etwas Besonderes, ein edler Samariter gar. Er grübelt und sinniert, während der rauhe Floßmann säuft. Pah! Wir waren dem Jakob wahrscheinlich näher als du, als wir uns über das Unglück seines Verderbers lustig gemacht haben, während der feine Herr sogar über eine Entschuldigung für den Pfeffersack nachgedacht hat. Ein seltsamer Samariter bist du mir: Hältst merkwürdige Reden bei Gericht und im Wirtshaus, erstirbst fast in nobler Trauer, aber tust nichts.« Paul gestikulierte heftig. »Hör zu, wir alle waren feige. Wir alle sind Maulhelden. Aber wir geben’s wenigstens zu. Du…« – Pauls rechter Zeigefinger klopfte dabei Peters Brust weich –, »du bist sauer auf dich, weil du dich nicht einmal richtig feiern traust. Und jetzt läßt du deine Wut an mir aus. Bitte schön, such den Jakob…« – Pauls Arm beschrieb einen weiten Bogen –, »such ihn und geh meinetwegen nach Wolfratshausen und bis ans Ende der Welt. Aber tu etwas, oder halt’s Maul!«
    Eine hübsche Menge Leute hatte die beiden inzwischen umringt und erfreute sich an dem lautstarken Gezänk. Blitzschnell, was ihm keiner zugetraut hätte, wirbelte Paul herum, sprang auf die nächststehenden Gaffer zu, schnitt eine gräßliche Grimasse und bellte sie an: »Puuhh! Kümmert euch um euren eigenen Dreck!« Daraufhin entfernte er sich hoch erhobenen Hauptes durch die erschrocken zurückweichende Menge, ohne sich umzusehen.
    Peter stand noch eine Weile wie ein gerupfter Hahn da. Dann trottete er mit gesenktem Kopf hinter Paul drein in Richtung Lände. Der hatte ja irgendwie recht. Peter war wütend auf sich selbst und daher ungerecht gegen alle anderen. Aber er hatte sich auch noch nie in einer solch schwierigen Situation befunden. Doch wenn er dem Jakob wirklich helfen wollte, dann mußte er tatsächlich etwas tun. Er wußte zwar noch nicht was, aber ihm würde schon etwas einfallen, und als er bei der Lände anlangte, war er wieder entschlossenen Mutes.
    Für die Männer an der Floßlände, Pfleger wie Knechte, hielt der Tag wieder eine Menge Arbeit bereit. Die Stadt war wie ein gefräßiger Moloch, der ständig nach neuer Nahrung verlangte, und die Ländhüter hatten die Versorgung zu überwachen und zu regulieren. Die ankommenden Flöße landeten entlang der Uferwände an, und das Kaufmannsgut wurde über schräge Bretter oder steinerne Stiegen entladen. Neben allerlei Trockengut, das in Tüchern zu Ballen gepackt war und oft bis aus Venetien kam, wurden vor allem Wein-und Ölfässer ans Ufer gerollt. Die

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