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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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fürchtete nun, daß er arg zerzaust würde. In ein paar Tagen würde es vielleicht nur noch ein Lüftchen sein und dann dürfte er sich wieder hervorwagen.
    Die Flößer schrien jetzt alle durcheinander und die Freundlichkeiten, die sie dem Peitinger angedeihen ließen, reichten von Zunge und Ohren abschneiden bis zu siedendem Öl. Kurz vor seiner endgültigen Auflösung und Vernichtung platzte mitsamt dem Nickel Caspar eine aufrüttelnde Neuigkeit in den Schankraum.
    »Habt ihr’s schon gehört?« – Iiihhhch – Er sog pfeifend und krächzend die Luft ein, völlig außer Atem. »Wißt ihr – keuch – schon die Neuigkeit…«
    Caspar trieb sich den ganzen Tag in der Nähe der Märkte oder Stadttore herum, sog jede Neuigkeit, oder was danach aussah, wie ein Schwamm begierig in sich auf und spuckte sie andernorts ungefragt oder gegen klingende Münze wieder aus. Die meisten mieden ihn oder wechselten bei seinem Auftreten schnell die Straßenseite oder zumindest das Thema, andere benutzten ihn gezielt für ihre Zwecke. Wer morgens an einem der Stadttore ein Gerücht ausstreute, der begegnete ihm spätestens zur Mittagsstunde am Marktplatz wieder und konnte beim Abendläuten sicher sein, daß es die heimkehrenden Bauern auch schon in die umliegenden Dörfer mitgenommen hatten.
    »Jetzt red’ schon!« drängten die neugierig gewordenen Flößer.
    »Beim Pütrich – also, während grad’ alle in der Kirche waren, da ist eingebrochen worden. Ausgeraubt haben sie ihn, den Pfeffersack! Und, haha, ausgerechnet während der Messe; hat wahrscheinlich wieder kein Almosen gegeben, der alte Geizhals. Jaja, die Wege des Herrn…«
    Die Nachricht wirkte zunächst so überraschend wie der Schweifstern auf die Hirten in Bethlehem. Doch sobald sich die Verblüffung der Flößer etwas gelegt hatte, machten sich nur schallendes Gelächter und hämische Freude breit.
    Paul dachte wie immer eher praktisch: »Wieviel war’s denn? Ich hoffe, ein beträchtliches Sümmchen. Und wenn er erst ein armer Schlucker ist, dann werd’ ich ihm sein protziges Haus abkaufen und darin residieren.« Er lachte schallend über seinen eigenen Witz, als hätte er sich eben schon die Taschen mit Pütrichs Pfennigen vollgestopft. Er warf sich stolz in die Brust und setzte mit tiefer, auf Ehrwürdigkeit getrimmter Stimme hinzu: »Ein Palast für den ehrenwerten Meister Knoll, Ritter des vollen Humpens und Beherrscher des erlesenen Bratens. Ihr seid meine Diener. Auf, auf, legt mir vor!«
    Die Flößer bogen sich vor Lachen und stiegen sofort in das frivole Spiel ein, indem sie mit Knochen und fettigen Fleischbrocken nach ihm warfen: »Freßt, ehrwürdiger Herr, wir geben gern und reichlich!«
    »Verzeiht, Ihr edlen Spender«, gab Paul prustend und zugleich Zerknirschung mimend zurück, »man hat mich um die Börse erleichtert. Ich kann Euch nicht entlohnen.«
    »Dann seid unser Knecht«, brüllten die Flößer, »und zählt statt der Pfennige Floßbäume und Faßdauben, bis Ihr die Huld des Jakob Krinner wieder erreicht habt!«
    Caspar berichtete zwar noch, daß der alte Anselm zu Hause gewesen sei, aber wie immer nichts gehört habe und daß der genaue Schaden noch nicht ermittelt sei. Als er bemerkte, daß seine Ausführungen in der allgemeinen Heiterkeit völlig untergingen, gab er sich bereitwillig dem spendierten Bier hin und saugte dazu die ebenfalls reichlich fließenden Äußerungen der Flößer in sich auf.
    Peter saß dabei und verwünschte sich ob seiner Skrupel. Er lächelte etwas gequält zu den derben Scherzen um ihn herum. Wie gerne hätte er mitgealbert, doch forderten in ihm schon wieder Besorgnis und ernste Gedanken Raum. Der alte Pütrich würde dies nicht einfach hinnehmen. Er würde die Flößer, die hier alberten und sich diebisch freuten, beschuldigen und – ja natürlich, er würde wahrscheinlich dem Jakob die Geschichte wieder anhängen wollen. Der hatte schließlich gedroht.
    Mein Gott – er wird doch nicht… Für einen Augenblick beschlichen Peter selbst quälende Zweifel. Aber das konnte unmöglich sein, denn Jakob war sicher längst zu Hause und außerdem hätte er gar nicht mehr die Kraft dazu gehabt. Und überhaupt war das nicht Jakobs Art. Nein, Peter war sich da ganz sicher und schämte sich fast wegen seines flüchtigen Zweifels.
    Drei andere Herren fanden es auch beschämend, was sich vor ihren Augen soeben abspielte. Angewidert und unter dem Gejohle der enthemmten Zecher schlichen Gottschalk und Heinrich Füss aus

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