Der Wachsmann
und tranken langsam, in kleinen Schlucken ihr Bier. Sie waren ein Stück vorangekommen, aber Peter konnte augenblicklich keine Freude darüber empfinden. Zu sehr schmerzten ihn die Bilder, als er sich ausmalte, was mit Jakob geschehen war.
Nach einer Weile gesellte sich Agnes zu ihnen. »Jemand hat den armen Kerl erwürgt, soviel ist klar«, gab sie trocken ihre Ansicht kund.
Peter und Paul sahen sich an, keiner sagte ein Wort.
»Aber was ich nicht verstehe, das sind die Briefe oder Botschaften, die Jakob bei sich trug. Hier, du kannst besser lesen und außerdem Latein.« Sie holte zwei Pergamentstücke aus der Rocktasche hervor, entfaltete und glättete sie und schob sie Peter hin.
Das eine von beiden sah ziemlich mitgenommen aus. Die Ränder waren wellig, und die Schrift war an der Knickstelle völlig verwaschen und unleserlich.
Peter las leise vor, was er entziffern konnte:
Rache wird
Tag der Wahl und des
Izen Zeichen zähle Buchs
wäge Zahl und Fluch se
einer Leichen »Hört sich nicht gerade wie ein Trinklied an«, urteilte Paul nüchtern.
»Was bedeutet das?« wollte Agnes von Peter wissen.
»Ich habe keine Ahnung. Wo hast du das gefunden?«
»Es steckte unter Jakobs Gürtel und fiel mir entgegen, als wir ihm die Kleider auszogen.«
»Und das andere?«
»Ich weiß es nicht«, räumte Agnes ein. »Es lag am Boden. Elsbeth hat es gefunden.«
»Laßt mal sehen, was hier steht:
Cum iudicatur, exeat condemnatus:et oratio eius fiat in peccatum … Das ist Latein«, stellte Peter fest und schaute so verwundert, als habe er eben den Stein der Weisen entdeckt.
»Sag’ ich doch«, raunzte Agnes ungeduldig. Sie war zwar nicht sehr geübt im Lesen und Schreiben, und ihre diesbezüglichen Fähigkeiten beschränkten sich weitgehend auf eine ordentliche Führung der Geschäftsbücher. Aber daß es sich hier um Latein handeln mußte, das erkannte sie noch allemal.
»Ich will wissen, was es heißt«, drängte sie.
»Nun, da ist die Rede davon, daß geurteilt wird… nein, wenn Recht gesprochen wird, dann soll… soll er verurteilt werden, und… äh… seine Rede soll… wie heißt das… soll Sünde werden? Hm, ich denke, das ist ein Psalm.«
»Wohl nicht aufgepaßt in der Lateinschule?« Paul lag auf der Tischplatte, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und grinste Peter unverschämt an. »Wirst wohl doch kein Prediger.«
Peter warf dem frechen Zweifler einen wütenden Blick zu, »Du kannst ja nicht mal Tinte von Traubensaft unterscheiden. Es ist schwierig. Ich brauch’ eben mehr Zeit.«
»Streitet euch nicht!« mahnte Agnes. »Wo liegt da der Sinn? Das eine so etwas wie ein Fluch, das andere ein Psalm; das geht doch zusammen wie Teufel und Seligkeit.«
»Ein Fluch oder ein Rätsel«, überlegte Peter. »Und vielleicht hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.«
»Merkwürdig«, warf Paul ein, der nun wieder ganz bei der Sache war, »das eine Stück Pergament ist nur schwer lesbar, während dem anderen das Wasser anscheinend nichts anhaben konnte.«
»Da fällt mir ein, daß auch die Leiche und die Kleider völlig trocken waren«, bemerkte Agnes. »Das Schriftstück könnte doch einfach so im Faß oder auf der Leiche gelegen haben und fiel zu Boden, als ihr die Leiche herausgezogen habt.«
»Das müßte bedeuten, daß Jakob den anderen Fetzen schon am Leib trug, als er im Wasser trieb, wodurch er so unleserlich wurde.« Peter sagte dies fast erleichtert, denn einen Augenblick lang hatte ihn die Befürchtung erschreckt, der fragliche Fluch könnte gegen Pütrich gerichtet und eine Art Vorsatz gewesen sein, etwas, das es um der Rache willen zu tun gelte oder gegolten habe. So aber konnte dies unmöglich zutreffen.
»Es ist doch sonderbar«, gab Paul zu bedenken, der noch immer über die unterschiedliche Abnützung der beiden Pergamente nachgrübelte, »daß das Faß innen völlig trocken ist, obwohl es unversiegelt in der wilden Isar trieb. Vielleicht will man uns das auch nur glauben machen. Wenn Treibgut in der Isar schwimmt, dann verhängt es sich an Brückenpfeilern, am Wildwuchs der Uferböschung, auf Kiesbänken, am wenigsten aber doch an den glatten Wänden des Ländufers. Vielleicht ragte auch der Balken, der das Faß aufhielt, nicht zufällig ins Wasser. Wenn der Kerl nicht krank gewesen wäre, hätte ich gesagt, der Peitinger hat was damit zu tun.«
»Das eine schließt das andere ja nicht aus. Wir können es nur
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