Der Wachsmann
ihm einmal die Fragen auszugehen drohten, sprang Peter ein mit Geschichten von Elfen und Feen, Riesen und Zwergen, die einen Wald gemeinhin so bevölkern.
Bald darauf querte ein breiter Weg die Landstraße, der zum Teil noch recht gut befestigt schien, zum größeren Teil aber ausgefahren und ziemlich mitgenommen war. An manchen Stellen ragte das Buschwerk schon weit in die Fahrbahn hinein. Soweit Peter sich erinnerte, mußte dies die alte Römerstraße sein, die von Südosten und aus Italien herkommend, in die freie Reichsstadt Augsburg hinüberführte. Hier irgendwo, unten im Isartal, mußte es gewesen sein, wo den Jakob das grausige Schicksal ereilt hatte. Peter hätte am liebsten angehalten, um sich die Örtlichkeit näher zu betrachten. Aber es würde bald warm werden, und die Hitze würde dem Leichnam weiter zusetzen. Er mußte sein Vorhaben auf den Rückweg verschieben.
Allmählich forderte die durchwachte Nacht ihren Tribut. Perchtold legte den Kopf in Peters Schoß, hob die Beine auf das Sitzbrett und war wenig später trotz des Ratterns und Stoßens des Wagens eingeschlafen. Peter war froh darüber. Sein Vorrat an Geschichten war fürs erste erschöpft, und so konnte er sich für eine Weile eigenen Gedanken hingeben. Sie hatten Baierbrunn eben hinter sich gelassen und rollten nun auf Schäftlarn zu. Damit verband sich ein Großteil seines eigenen Lebens, und die Erinnerung führte ihn nun weit zurück.
Die Brüder Heinrich und Peter Barth, sein Vater und sein Oheim, beide wohlhabende Wein-und Salzhändler zu München, hatten vor etlichen Jahren gemeinsam das alte Rittergut Kempfenhausen am Ostufer des großen Würmsees erstanden. Peter, der ältere von beiden, hatte sich in späteren Jahren zunehmend aus der Stadt zurückgezogen und auf dem Gut das Leben eines Landadeligen geführt, dem dazu nur noch der Adel fehlte. Heinrich blieb in der Stadt und dem Kaufmannsstand zunächst verbunden, was seine Heirat mit Anna Welser, einer Tochter aus dem vornehmen Augsburger Kaufmannsgeschlecht, unterstrich. Im Jahr darauf wurde das Söhnchen Michael geboren, auf dem alle Hoffnungen des Vaters ruhten. Unglücklicherweise entpuppte sich die Welserin zunehmend als herrschsüchtige Pfennigfuchserin, die das ganze Haus scheuchte. Und wie es die göttliche Vorsehung ganz offensichtlich wollte – ihre irdischen Diener sprachen freilich von Teufelswerk –, lebte auf dem Herrenhof zu Haarkirchen, das gleich an Kempfenhausen grenzte, eine junge Magd, die selbst den heiligen Antonius in schwerste Versuchung geführt hätte. An einem Weihnachtstag wurde Heinrich Barth in dem kleinen Kirchlein des Anwesens erstmals ihrer ansichtig. Ihr frisches Gesicht und ihr heiteres Wesen nahmen ihn sofort gefangen, und so suchte er immer mehr Gelegenheiten, die ihn in ihre Nähe brachten. So ergab es sich fast zwangsläufig, daß eines Tages die Begierde des Fleisches über die Tugend und den Bund der Ehe triumphierte. Wann immer sich fortan der Kaufmann am harschen Ton und knochigen Leib seines Weibes stieß, suchte er Trost und Linderung in der Weichheit und Sanftmut Theresas.
Nun sind die Gaben des Herrn leider nur allzuoft ungleich verteilt. Während anderswo jahrelange Bitten unerhört blieben, wurde den beiden nach einem überschwenglichen Erntedankfest neun Monate später erneut reicher – wenn auch ungewollter – Segen zuteil: ein munteres Knäblein mit dunklem Flaum, das neugierig in die Welt blickte, sobald es die Augen offenhalten konnte. War es auch eine Frucht der Sünde, so mußte es gleichwohl einer großen Liebe entsprungen sein, wie sich am Wachsen und Gedeihen des Jungen alsbald zeigen sollte. Denn nur kräftigem Samen und beiderseitiger Liebe, so lehrt uns Hildegard von Bingen, kann ein starker, kluger und tugendsamer Junge entsprießen. Da auch uneheliche Kinder zum ewigen Heil geführt und vor den Nachstellungen des Teufels bewahrt werden sollten, vollzog der Pfarrer von Aufkirchen, Nikolaus von Pienzenau, bei dem Knäblein die Taufe.
Der kleine Peter wuchs in großer Freiheit auf, umsorgt von einem stolzen Vater, dessen einziger Fehler war, daß er noch immer allzuoft in München weilte. Das Büblein wurde gehätschelt von einer liebevollen Mutter und in vielem gefördert von seinem Oheim und Paten, der ihn Erfordernisse und Vorzüge des Landlebens lehrte, ihn auf die Jagd mitnahm und wundervolle Geschichten erzählte.
Eines Abends, als Peters siebter Geburtstag bevorstand, sah er die drei Erwachsenen, die
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