Der Wachsmann
nicht beweisen.« In Peters Bemerkung schwang unüberhörbar Enttäuschung mit. »Aber wenn es stimmt, dann würde dies doch bedeuten, jemand hätte Interesse daran, daß man den toten Jakob findet, obwohl die ganze Meute versessen darauf war, ihn die Isar hinunterschwimmen zu lassen.«
»Ich versteh’ das alles nicht. Und ich weiß nicht einmal, ob ich’s wissen will. Soviel Haß und Hinterlist, daß es einem grausen möcht’.« Agnes schüttelte angewidert den Kopf, und selbst Peter befürchtete nun, daß mit der Wahrheit vielleicht Dinge ans Licht kämen, die besser nicht der Dunkelheit und dem Vergessen entrissen würden. Zum ersten Mal seit seinem Entschluß, den Vorfällen auf den Grund zu gehen, kamen ihm auch schon leise Zweifel. Sie sollten ihn in den kommenden Tagen noch häufiger beschleichen.
Die fortgeschrittene Stunde und die Ankunft des Kistlers, der den bestellten Sarg aus einfachen Fichtenbrettern brachte, beendeten die Nachforschungen und Überlegungen für diesen Tag. Sie hüllten Jakobs Leiche in das Tuch, betteten sie in die Holzkiste und hoben diese auf den Wagen. Morgen in aller Frühe würde Peter den Jakob heimbringen.
Als sich die Männer wieder dem Haus zuwandten, zupfte eine Kinderhand den Peter energisch am Ärmel. Es war Perchtold, der ältere Bub der Agnes, der ihn flehentlich ansah. »Nimmst du mich mit, morgen?« bettelte er. »Ich möcht’ dich so gern begleiten.«
Peter konnte dem treuherzigen Blick kaum widerstehen, wandte aber ein, daß der Anlaß der Fahrt ein trauriger sei: »Es wird kein Spaß werden, Perchtold, und ich glaube, es wär nicht das Richtige für dich…«
»Bitte! Ich bin auch ganz brav, und ich kann den Wagen lenken und das Pferd füttern und…«
Peter lachte herzhaft ob der Hartnäckigkeit des jugendlichen Freundes. Was konnte er solch verlockenden Angeboten schon entgegenhalten. »Du wirst erst die Mutter fragen müssen.«
»Die hat’s schon erlaubt«, strahlte Perchtold übers ganze Gesicht.
»Na dann, meinetwegen. Aber jetzt ab ins Bett, damit du morgen früh nicht verschläfst!«
Perchtold stürmte mit Freudengeheul ins Haus, als hätte er soeben eine Bande streitsüchtiger Nachbarskinder besiegt.
Und Peter dachte bei sich, daß es vielleicht ganz gut sei, wenn ihn fröhlicher Kindermund vor aufkommender Schwermut bewahrte.
7. Kapitel
Als Peter im erster Morgenlicht in den Hof trat, fand er den Wast schon dabei, wie er Hilde und Else, zwei zugkräftige Rottaler Fuchsstuten, vor den Leiterwagen spannte, auf dem der Sarg ruhte. Ein freudestrahlender Perchtold saß putzmunter und glühend vor Stolz auf dem kräftigen Brett, das die Leiterholme im vorderen Teil des Wagens überspannte.
»Du hast wohl gar nicht geschlafen«, rügte Peter lachend.
»Ich war so aufgeregt«, räumte Perchtold treuherzig ein. Und in der Tat konnte Marco Polo vor seiner großen Reise kaum unruhiger gewesen sein. Der Junge hatte die halbe Nacht eher gegen den Schlaf angekämpft, als sich ihm hingegeben, um nur ja nicht den Aufbruch zu versäumen.
Sebastian erteilte Peter ein paar Anweisungen und Ratschläge über die Eigenheiten der Pferde, die dieser aber kaum vernahm, denn soeben verströmte Aurora, die Göttin der Morgenröte, ihren Glanz ins Dämmerlicht des Hofes: Agnes stand im Türrahmen. Sie trug nur ein wallendes weißes Hemd, zeigte ihre rote Lockenpracht ungebändigt, lächelte – eher ein Bild warmen Willkomms denn des Abschieds. Ungeachtet neidischer Blicke ihres Zuschenks ging sie auf Peter zu, drückte ihn fest an sich und küßte ihn.
»Paß gut auf dich auf. Und auf den Buben!«
»Ich versprech’s dir. Übermorgen sind wir zurück.«
»Auf Wiedersehen, Mutter!« krähte Perchtold fröhlich und ohne die kleinste Spur von Abschiedsschmerz.
»Sei ja artig!« ermahnte Agnes lachend ihren Ältesten. »Sonst spannt dich der Peter als Esel vor den Wagen. Und jetzt macht euch fort und stehlt dem Herrgott nicht den Tag!«
Peter schwang sich behende auf den Wagen, ergriff die Zügel und setzte mit lautem Zungenschnalzen die Pferde in Bewegung. Unter dem Tor, das der Zuschenk soeben geöffnet hatte, hielt er kurz an.
»Danke, Wast.«
Der nickte nur und schaute verdutzt. Aber auf seinem Gesicht schien so etwas wie verhaltene Freude zu liegen.
»Hüah!«
Peter lenkte die Pferde nach Westen und durch das Talburgtor dem Marktplatz zu, bog aber gleich nach den Gaden und Kramen zur Linken, in denen die Watmanger ihren Tuchverkauf und Gewandausschnitt
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg