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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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angestammten Platz verließ und Höheres verfolgte.
    »Ich denke«, gab Peter jetzt gleich die nächste Zielsetzung aus, »wir sollten uns als erstes einmal die Leiche gründlich ansehen.« Genau das hatte Paul nicht vorgeschwebt. Wenn er sich jetzt zur Wirtschaft begäbe, dann sollten dort auf ihn ein knuspriges Stück Fleisch und frisches Bier warten und nicht eine Leiche, bei deren Anblick einem der Appetit vergehen konnte.
    Aber Peter war gnadenlos entschlossen. »Komm mit!« Er zog ihn lachend an seinem Rock. »Ich brauch’ dich!«
    Paul schickte einen ergebenen Blick zum Himmel, zuckte mit den Schultern und setzte sich seufzend in Bewegung. Er hatte gesagt: »Ich brauch’ dich.« Wie könnte er da seinem Schützling widerstehen.
    Jakobs Leiche lag inzwischen in einer kleinen Kammer im Hinterhof aufgebahrt, und Agnes und Elsbeth hatten wahre Wunder an ihr vollbracht. Das Haar war geordnet, der Kiefer zurechtgeschoben. Die Aufgedunsenheit war zwar nicht zu verbergen, aber das Gesicht wirkte weitaus weniger entstellt. Die Frauen hatten die zerfetzte Kleidung aufgeschnitten und den ganzen Körper gewaschen und vom Schmutz befreit. Dabei hatten sich auch etliche vertrocknete Blutreste und Krusten über den zahlreichen Schrammen gelöst, so daß der Tote jetzt weit weniger zerschunden erschien.
    Peter zog das Tuch, das die Leiche bedeckt hatte, nun ganz fort und betrachtete sie aufmerksam. Es wollte ihm nichts Ungewöhnliches auffallen, und Paul hatte schon von Anfang an den Eindruck vermittelt, als hätte er genug gesehen.
    »Wenn Jakob sich nicht erhängt hat, sondern umgebracht wurde, dann müßten wir doch eine Wunde finden oder einen Hinweis darauf, irgend etwas… komm, hilf mir!« Peter versuchte, den Toten auf die Seite zu drehen, um den Rücken untersuchen zu können.
    Sie sahen dunkle, blau-violette Totenflecke, wo das Blut zusammengeflossen war, dazwischen helle Haut, wo der Körper aufgelegen hatte. Aber nichts, gar nichts deutete darauf hin, daß ein Messer oder eine andere spitze Waffe ihren Weg zwischen die Rippen gefunden und den Tod verursacht haben könnte. Sie ließen die Leiche wieder auf den Rücken gleiten.
    »Und wenn ihn jemand wie einen Hund erschlagen hat«, überlegte Paul nüchtern. Sie betasteten den Schädel, den Nacken… nichts. Es war keine äußere Verletzung zu finden.
    Mehr zufällig stachen Peter eine Reihe seltsamer Hautveränderungen ins Auge, entlang der Seite, auf die sie die Leiche eben gerollt hatten. Sie sahen aus wie Wunden, die ein winziges Messerchen verursacht hatte, zum Teil auch wie kleine, an den Rändern zerfressene Löcher.
    »Wofür hältst du das?« fragte Peter aufgeregt.
    »Ratten«, beschied ihn Paul knapp. »Im Kerker kannst du dies jeden Tag sehen.«
    Mit einer Mischung aus Neugier und Entsetzen starrte Peter seinen älteren Freund an. Er wußte offenbar noch längst nicht alles über dessen bewegtes Leben.
    »Aber hier, das ist eigenartig.« Paul wollte die Arme des Toten wieder vor der Brust kreuzen, als sein Blick auf eine breite, braunrote, lederartig vertrocknete Abschürfung fiel, die schräg über die Oberseite des linken Handgelenks verlief. Sie betrachteten die Hände genauer und fanden eine ähnliche Verletzung an der Unterseite des rechten Handgelenks.
    »Aber natürlich!« Peter legte die Hände gekreuzt übereinander. »Man hat ihm die Hände gefesselt, und Jakob muß kräftig dagegen gescheuert haben. Das beweist aber doch, daß er sich nicht selber erhängen konnte. Erhängt…« Peter stutzte einen Augenblick, starrte auf den Hals des Toten. »Es ist kaum etwas von Spuren eines Stricks zu sehen. Wenn jemand eine ganze Weile baumelt, dann müßte das doch deutlich…« Er tastete an den Hals der Leiche, fuhr mit den Fingerspitzen ein paar strichförmig mit Blut unterlaufene Hautstellen entlang und stieß an der Stelle des Kehlkopfes auf ein wabbeliges Etwas. »Mein Gott, man hat ihn erwürgt, nicht?«
    Paul nickte stumm. »Es muß jemand mit wahren Pranken gewesen sein.«
    »Der Strick, natürlich, er wurde nachträglich irgendwie verknotet, damit es so aussehen sollte, als ob…« Obwohl die Sache nun klar schien oder vielleicht gerade deshalb, stieg in Peter unbändige Wut hoch. »Dieses Schwein, dieses gottverdammte Schwein«, fauchte er und ballte dabei die Fäuste so fest, daß sie schmerzten.
    »Komm!« Paul deckte die Leiche zu, legte den Arm um Peter und führte ihn in die Gaststube.
    Die beiden Männer saßen eine Weile wortlos da

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