Der Wachsmann
bisher weitgehend sein Leben bestimmt hatten, beisammensitzen und beratschlagen. Er spürte, daß es um seine Zukunft ging und war entsetzt, als er die Worte Schule und Kloster aufschnappte. Ritter wollte er werden. Nichts anderes hatte ihm vorgeschwebt, seit ihm der Pate Geschichten von edlen Herren, stolzen Reisigen und großen Schlachten erzählt hatte. Er konnte schon reiten wie ein alter Kämpe und focht mit seinem Holzschwert so furchterregend, daß er sicher sämtliche Riesen verjagt hätte. Und jetzt das Kloster! Pueri oblati wurden sie genannt, dem Herrn dargebrachte Knaben, die um das siebte Lebensjahr für ein Leben im Kloster bestimmt wurden. Sie wurden dort harter Zucht unterworfen, standen unter ständiger Aufsicht und durften kaum miteinander reden, geschweige denn spielen. Nicht, daß er nicht fromm gewesen wäre. Die Mutter hatte ihn beten gelehrt, Pfarrer Nikolaus hatte ihn in biblischen Geschichten und im Leiden des Herrn unterwiesen, und seit einem Jahr konnte er auch schon den Meßdienst versehen. Es war das freie Leben, dessen Verzicht er sich nicht vorstellen konnte, der Abschied von der herrlichen Natur, von den geliebten Tieren und den Knechten und natürlich von Eltern und Oheim.
Aber Peter mußte erst noch eine leidvolle Erfahrung machen. Es gab ganz offensichtlich Menschen, die alles durften und solche, denen bestimmte Wege versagt blieben. Zu letzteren gehörte auch er, was ihm bisher nicht im geringsten bewußt gewesen war. Es war der Makel seiner Geburt, der ihm nicht nur Möglichkeiten des Aufstiegs nahm, Wege für die Zukunft versperrte und Türen zum Erfolg zuschlug, sondern – weit schlimmer noch – den Sturz in Armut und Not bedeuten konnte. Unehelich sein war gleichbedeutend mit unehrlich sein, und keine Zunft, die etwas auf sich hielt, nahm so jemanden in den Handwerksstand auf. So blieb normalerweise nur ein Leben im Findelhaus und später in ehrlosem Gewerbe, als Taglöhner oder Bettler, oder im Dienste der Kirche und im Kloster. Es sei denn, der Vater nahm das unschuldige Kind rechtmäßig in seine Familie auf. Für Heinrich Barth hätte dies bedeutet, aus seiner Heimstatt ein Schlachtfeld zu machen, denn nie und nimmer hätte sich die stolze Welserin damit abgefunden. So erschien ihm eine Klosterkarriere des Buben als einziger Ausweg. Zu Peters Glück sprach sich sein Pate energisch dagegen aus, da auch er, selbst kinderlos, den Buben wie einen Sohn liebgewonnen hatte und ein Verschwinden des aufgeweckten Kindes hinter Klostermauern für eine ungehörige Verschwendung hielt. Der Mutter aber war alles recht, was ihr wenigstens zeitweilig den einzigen Sohn erhielt. Man einigte sich schließlich auf den Besuch einer Klosterschule, um dem Jungen wenigstens eine Ausbildung zukommen zu lassen. Alles weitere würde sich später mit Gottes Hilfe finden.
An diese Zeit in der Schule mußte Peter jetzt denken, während Hilde und Else munter Kloster Schäftlarn entgegentrabten. Äußerlich gefügig, doch innerlich widerstrebend, ließ er sich an Sankt Martin in seinem achten Lebensjahr dorthin zu den Chorherren der Prämonstratenser bringen. Nie würde er diesen Tag vergessen. Der Propst begrüßte sie herzlich und nahm den Knaben ebensogerne an, wie die Geldzuwendung des Vaters. Der weiße Talar mit Skapulier und Cingulum aus ungebleichter Wolle beeindruckte Peter sehr. Er strahlte etwas Feierliches und Erhabenes aus, wirkte aber zugleich ehrfurchtgebietend und irgendwie entrückt. Und die scharfen Gesichtszüge des Propstes ließen Strenge erahnen.
Die Knaben, die noch nicht auf Dauer Gott versprochen waren, lebten als Internatsschüler in einem eigenen Haus, weitgehend getrennt von den Oblaten, damit deren strengere Zucht und Askese nicht durch weltliche Einflüsse gestört würde. Das bedeutete nun freilich nichts weniger als Nachsicht und größere Freiheit für die Internatszöglinge. Die Chorherren lebten nach der Regel des heiligen Augustinus, die die weitaus strengere war. Der gute Kirchenvater war es auch gewesen, der Kinder als in Sünde geborene und ausschließlich ihrer Triebhaftigkeit folgende Wesen angesehen hatte. Und wie ein rechtschaffener Gärtner die Blüte und der Winzer die Frucht des Weinstocks nur durch das Beschneiden wilder Triebe zu veredeln wußte, so hatten die Lehrer durch regen Gebrauch von Stock und Peitsche der Vernunft und dem Gehorsam zum Sieg über die Triebe zu verhelfen, um so die ungehobelten Knaben für den Erwerb von Wissen und Tugend
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