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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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beängstigend. Schweißtropfen perlten von der Stirn. Das einst wunderschöne Haar floß grau und strähnig über das Kissen. Sie atmete nur noch röchelnd und stoßweise und wurde am ganzen Körper immer wieder von Fieberkrämpfen geschüttelt. Als hätte der Herr Erbarmen und geböte seinem Diener Tod noch kurzen Einhalt, schlug sie die Augen auf und erkannte die beiden Männer, denen ihre ganze Liebe gegolten hatte. Sie lächelte zufrieden und streckte die kaltschweißigen Hände aus, mit denen sie erst den Buben zu sich heranzog. Als hätte sie nie erfahren, daß Peter jetzt auf der Burg weilte, sprach sie nur von der Lateinschule, und nahm ihm mit matter Stimme das Versprechen ab, daß er auch weiterhin fleißig lernen würde. Sie küßte ihn auf die Stirn und gab ihm ihren Segen. Dann schickte sie ihn hinaus, weil sie mit dem Vater etwas zu bereden habe. Peter verkroch sich auf dem Heuboden und stierte in dumpfer Trauer vor sich hin. Er bekam auch nicht mit, wie Pfarrer Nikolaus der Mutter die Beichte abnahm und das Sakrament der heiligen Ölung spendete. Erst als er am nächsten Morgen beklommen in die Kammer schlich und sie kalt und steif auf ihrem Lager fand, löste sich seine Starre in einer Flut bitterer Tränen.
    Nur kurz nach den Weihnachtstagen, an denen diesmal keine rechte Freude aufkommen wollte, drängte Peter zurück ins Kloster. Er suchte den Propst auf und bat um Aufnahme in die Lateinschule. Dem Vater schien der Verlust der Frau, die er wirklich geliebt hatte, schwer zuzusetzen. Er sah verhärmt aus und wurde immer wortkarger. Vielleicht gerade deshalb, weil Peter ihn nur in großen Abständen zu Gesicht bekam, spürte er den Verfall immer deutlicher. Und Peter wußte damals noch nicht, daß die Mutter auf dem Sterbebett dem Vater ein ungleich größeres Versprechen abgerungen hatte: die Aufnahme des Sohnes in seine Familie. Um der Liebe willen schwor er’s in die fiebrige Hand Theresas und fand auch nach ihrem Tod die Kraft und den Mut, seinen Schwur zu halten. Doch damit hatte er sich das Fegefeuer auf Erden eingehandelt. Es war weit weniger die auferlegte Kirchenbuße, die ihn bedrückte, sondern die Gehässigkeit, mit der ihm die Welserin, die seinen Fehltritt nie verziehen hatte, fortan begegnete. Heinrich Barth zog sich nun so oft er konnte auf das Gut zurück und überließ dadurch zwangsläufig seinem legitimen und älteren Sohn Michael immer mehr das Handelsgeschäft. Einst hatte diesem das ganze Wohlwollen des Vaters gegolten. Doch Michael stand unter dem Einfluß seiner Mutter, geriet nach ihr und wurde dem Vater immer fremder. Und er eiferte gegen den Bastard, den er noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
    Peter, nunmehr im vierzehnten Lebensjahr, plagte sich redlich in der Lateinschule und erzielte gute Fortschritte. Endlich fing er an, das jahrelang nur mühsam auswendig Gelernte auch zu verstehen. Er übte sich in der Grammatik und erhielt Unterricht in Rhetorik und Dialektik, den Lehrinhalten des Triviums, das den kleineren Teil der sieben freien Künste ausmachte. Mit sechzehn, einem Alter, in dem die meisten Jungen die Lateinschule verließen, um entweder das Studium auf einer Universität fortzusetzen oder sich einem Beruf zu widmen, führte der Vater ein erneutes Gespräch mit seinem Sohn über dessen Zukunft. Heinrich Barth behagte es nicht, wie Michael und seine umtriebige Muter das Geschäft an sich rissen, und wenn Peter, der nun zur Familie gehörte, je eine Chance haben sollte, sich in seinem künftigen Erbe zu behaupten, dann mußte er in der Welt des Kaufmanns Erfahrungen sammeln. Der Vater empfahl ihn daher einem Augsburger Geschäftsfreund, und Peter willigte gerne ein, nicht nur, weil er Neuem gegenüber stets aufgeschlossen war, sondern auch in der Hoffnung, dem geplagten Vater damit eine Freude zu machen. Von seiner Legitimierung wußte er noch immer nichts. Der Propst ließ ihn nur ungern ziehen, doch auch seine Ermahnung, daß Peters Latein noch sehr unzureichend war, vermochten diesen nicht umzustimmen. Immerhin kamen ihm seine Schreibkünste bei der Führung der Bücher jetzt zugute. Peter lernte zwei Jahre lang mit Eifer und Interesse den geschickten Umgang mit römischen und arabischen Zahlen, die Handhabung des Rechenbrettes, die Umrechnung gängiger Münzeinheiten, den Ansatz von Zinsfüßen, den Gebrauch von Schuldscheinen und ähnliche für den Kaufmann unerläßliche Kenntnisse, bis eines Tages ein Schreiben des Paten eintraf, in dem dieser um einen

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