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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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zugleich tröstenden Erkenntnis, daß erstens nicht jeder Diener des Herrn auch des Lateinischen mächtig war, daß man zweitens auch fern aller Vollkommenheit dem Herrgott in Ehren dienen konnte und daß es drittens dem Allmächtigen in seiner Güte so ganz offensichtlich recht war.

8. Kapitel
     
    Obwohl Peter noch bis weit in die Nacht hinein erzählt hatte, fühlte er sich am anderen Morgen munter und gut erholt. Gleichwohl verspürte er eine eigenartige innere Unruhe, die sicher mit dem bevorstehenden Wiedersehen zu tun hatte. Und plötzlich wurde ihm bewußt, daß er während der gesamten Plauderei des gestrigen Abends den Pfarrer nicht ein einziges Mal nach dem Wohlbefinden seines Oheims gefragt hatte. Es war so, als fürchte er, jemand könne mit unliebsamen Wahrheiten einen Traum zerstören: die glücklichen Erinnerungen an seine Kindheit. Peter konnte den Vorschlag des Geistlichen, der Messe beizuwohnen, schwerlich abschlagen, drängte danach aber auf raschen Aufbruch.
    Der Weg führte zunächst in Richtung des Sees und verlief weiter auf der Anhöhe der steilen Moräne. Der lichte Mischwald bot herrliche Ausblicke auf das große, fischreiche Gewässer und Peter erzählte dem Jungen von mächtigen Hechten und Wallern, die häufig die Netze zerrissen und die Fischer narrten sowie von köstlichen Renken und schmackhaften Ferchen, die allerdings dem Tisch der Vornehmen und der herzoglichen Tafel vorbehalten blieben.
    Peter ließ die Pferde ganz gemächlich traben und genoß den vertrauten Anblick. Vor ihm lag das Reich seiner Kindheit. Obwohl er inzwischen in München heimisch geworden war, kehrte er jetzt nach Hause zurück. Er rief dem Sauhirten am Waldrand einen fröhlichen Gruß zu, winkte den Bauern auf den nahen Feldern. Doch keiner schien von ihm so recht Notiz zu nehmen oder ihn gar zu erkennen. Hatte er sich so verändert?
    Peter lenkte etwas betroffen den Wagen zum Eingang an der Ostseite des Sedelhofes. Im warmen Licht der Morgensonne ruhte auf einer Bank gesenkten Hauptes und auf den schweren Stock gestützt ein Greis. Er mußte dösen oder schwerhörig sein, denn ganz offensichtlich hatte er das Rattern des herannahenden Gefährts nicht wahrgenommen. Peter stieg vom Wagen und schritt vorsichtig auf den weißhaarigen Alten zu.
    »Gütiger Gott, er ist’s!« bestätigte sich Peter im Flüsterton selber. Das Haar fiel noch immer gelockt bis auf die Schultern, aber es war schlohweiß und strähnig. Um das ehemals sorgfältig rasierte Kinn sprießten grauweiße Stoppeln.
    »Gott zum Gruß, lieber Oheim!« Erst ein zweites Anrufen brachte langsam Bewegung in den Alten.
    »Bist du es, Xaver?« brummte er mißmutig. »Wird allmählich Zeit, daß du dich um den Stall kümmerst. Und bring den Wein oder ich mach’ dir Beine!« Zur Bekräftigung schlug er mit dem Stock mehrmals auf die Erde.
    »Ich bin es doch, Oheim, Euer Peter. Erkennt Ihr mich denn nicht?« In Peters Stimme lag leichte Verzweiflung.
    Mehr der vertraute Klang der Stimme als augenscheinliches Erkennen schien in dem knorrigen alten Mann eine Erinnerung wachzurufen. »Peter… Peter…« wiederholte er unendlich langsam und gedehnt. Und nach einer Weile, die Peters bangem Hoffen wie eine Ewigkeit erschien, huschte ein warmes, zahnloses Lächeln über das Gesicht des Alten, als er mit feuchten, aber blicklosen Augen in die Richtung des unerwarteten Besuchers sah. »Mein Peter ist zurückgekehrt. Ich hab’ es immer gewußt! Jetzt wird alles wieder gut!«
    Peter konnte die Tränen der Rührung nicht mehr zurückhalten. Er kniete vor dem Alten nieder, ergriff seine Hände, legte den Kopf in seinen Schoß und weinte hemmungslos. Als er sich etwas gefaßt hatte, brachen die Fragen hervor. »Sagt, Oheim, wie geht es Euch? Was ist geschehen? Es… es ist alles so ganz anders.«
    »Oh, prächtig, prächtig! Was soll anders sein?« Die Stimme des Alten war zwar krächzend, aber noch immer voll. »Und jetzt bist du ja wieder hier.« Er beugte sich etwas vor und flüsterte verschwörerisch: »Kannst du etwas vom Roten besorgen? Der Hundsfott Xaver hält’s mit den verdammten Quacksalbern, die einen fast verdursten lassen. Aah, und morgen, da gehen wir zusammen auf die Jagd. Herrgott, ich spür’s, wie ich durch dich wieder jung werde! Kathi, schau wer da ist!« Die Aufregung hatte den aufblühenden Greis so erschöpft, daß er nun schwer atmend zurücksank.
    »Jesus, Maria! Der junge Herr ist da!« Die alte Magd, die Peters Werdegang gleichsam schon

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