Der Wachsmann
vom Balzen des Vaters an begleitet hatte, schlug erst in freudigem Erschrecken die Hände vor den Mund und lief ihm dann mit ausgebreiteten Armen entgegen, um ihn an ihre gewaltige mütterliche Brust zu drücken.
Mittlerweile war auch Perchtold vom Wagen geklettert und stand in dem überschwenglichen Durcheinander des Wiedersehens etwas verlegen da.
»Oh, und das ist Perchtold«, erinnerte sich Peter nun seiner, »der tüchtige Sohn meiner Wirtin und mein bester Gefährte.«
Perchtolds Augen glühten vor Stolz, selbst als nun ihn der wogende Busen der herzlichen Magd zu erdrücken drohte.
»Ihr müßt hungrig sein. Ich gehe und bereite ein festliches Mahl. Ihr werdet doch eine Zeitlang bei uns bleiben?« Schon scheuchte die alte Magd ein paar junge Frauen und begab sich selbst in die Küche, um ihrer Ankündigung Folge zu leisten.
Peter schlich ihr nach in der Befürchtung, daß sie, wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn, zur Feier seiner Rückkehr ein gemästetes Kalb schlachten ließe und beeilte sich zu versichern, daß er und Perchtold bald wieder fort müßten. Zum anderen wollte er die Gelegenheit nützen, die ebenfalls betagte Kathi nach dem tatsächlichen Befinden des Oheims zu befragen.
»Es geschah nicht lange, nachdem Ihr Euch in die Stadt fortgemacht habt«, begann sie nachdenklich, und Peter glaubte auch einen leisen Vorwurf zu hören. »Eines Morgens fand man Euren Oheim in schrecklichem Zustand, wie er hilflos am Boden vor seinem Bette lag. Er schien kaum bei Sinnen zu sein und konnte seinen linken Arm und das Bein nicht bewegen.« Kathi legte trockenes Holz auf die Glut und hängte den Wasserkessel über das offene Herdfeuer.
»Wir alle dachten damals: Jetzt geht er heim in die Ewigkeit. Aber er hat sich wieder aufgerappelt. Nur den Fuß zieht er noch immer nach, und um seine Augen steht es schlecht. Ja, Peter, er ist über Nacht entsetzlich alt geworden. Aber das Schlimmste für ihn ist, daß ihn jetzt der Rest der Familie bevormundet. Die Welserin und ihr tugendhafter Sohn führen neuerdings hier das Regiment, obwohl sie sich nur einmal bisher blicken ließen. Einen Verwalter haben sie ihm vor die Nase gesetzt. Das Gut soll jetzt etwas abwerfen«, ergänzte sie spitz, »damit die feinen Städter ihren Säckel füllen können.« Währenddessen – als ließe sie ihre Wut an ihnen aus – brach sie die trockenen Erbsenschoten so heftig, daß ein Gutteil der grünen Kügelchen nicht in den Topf, sondern auf Tisch und Küchenboden sprang.
»Ich werd’ mit meinem Herrn Bruder reden müssen«, versicherte Peter grimmig.
»Ich furcht’, das nützt nicht viel«, mutmaßte die alte Kathi. »Redet lieber mit den Ärzten, die bringen Euren Oheim sonst noch um. Dauernd wollen sie ihn schröpfen und anzapfen. Das Blut sei zu dick. Und den Wein haben sie ihm verboten und sein geliebtes Wild. Dabei braucht ein Mensch doch auch Freud’ zum Leben. Oft sitzt er nur mehr da, brütet dumpf vor sich hin oder träumt von der Vergangenheit. Und jetzt, wo Ihr gleich wieder fort müßt…«
Peter ertrug kaum den flehenden Blick aus ihren traurigen Augen und ging wortlos nach draußen. Dort hatten sich inzwischen zwei Freunde gefunden: der Alte einen begeisterten Zuhörer, der schier atemlos an seinen Lippen hing, und der Knabe einen großartigen Erzähler für sein Bedürfnis nach immer neuen Geschichten.
»… und stell dir vor, da ruft der Herr Herzog drei Tage vor Sankt Martin einen Zauberer herbei, der dichten Nebel über ihn und das Heer fallen läßt. Und so kann der schlaue Fuchs Ludwig in der Nacht um die ahnungslosen Österreicher herumschleichen. Als die Sonne wieder scheint, da jubelt der dumme Feind schon siegessicher, weil er zehnmal mehr Ritter aufgeboten hat. Du kannst dir nicht denken, was das für ein prächtiger Anblick war, all die stolzen Herren in ihren blitzenden Rüstungen…«
Perchtold lauschte gebannt und befand sich soeben mitten in einer Schlacht.
»… und da seh’ ich doch grad noch, wie einer von den schlitzäugigen Ungarn – grausige Gesellen sag’ ich dir – mit seinem Bogen mitten auf den Herrn Ludwig in seinem weiß-blauen Wappenrock zielt. Ich reiß’ also mein Pferd herum, jag’ auf den Ungarn zu und renn’ ihm im letzten Augenblick meinen Speer durch den Leib, daß er dranhängt wie ein halbfertiger Braten am Spieß. Dann greif’ ich mir das Banner der Österreicher, und sie rennen wie die Hasenfüße…«
»Verwechselt Ihr da nicht ein wenig, lieber Oheim?«
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