Der Waechter
weiter ins Haus hinein und schloss die Tür hinter ihr.
Dann nahm sie ihre Jacke ab und hängte sie an einen freien Haken der Garderobe neben der Eingangstür. Neben einige andere Jacken und Mäntel. Große Jacken und Mäntel.
Unsicher betrat Jenny den quadratischen Flur, der eher einer Vorhalle glich und von dem einige Zimmer abgingen. Von innen wirkte das Haus eher wie ein Schloss, weniger wie eine Villa. Jenny starrte zur Decke hinauf, die mindestens zehn Meter hoch war. Das nächste Stockwerk wurde von einer Empore gebildet, eingefasst von einer Balustrade, die rundherum führte und von der etliche Zimmer abgingen. Am liebsten wäre Jenny sofort die Treppe rechts von ihr hinauf gegangen, um von oben in die Tiefe herunter zu schauen. Ruth schnappte Jenny am Arm, schob sie durch den Eingangsbereich und führte sie in ein Zimmer gegenüber der Eingangstür. Es stand ein großer Tisch in der Mitte, der für zwanzig Leute Platz haben musste. Die Wände entlang waren vereinzelt Sessel unterschiedlicher Art platziert, teils antiquarisch, teils modern. An den Wänden hingen ebenso bunt gemischt Bilderrahmen. Es waren echte Ölgemälde darunter, die das Portrait einer Person zeigten und auch Landschaftsbilder in Aquarell. Die hohen, hellen Fenster waren von dicken, roten Vorhängen umrahmt. Mit den vanillefarbenen Wänden und den charaktervollen Holzmöbeln wirkte der Raum in Jennys Augen urgemütlich.
Anders als sie vorher gedacht hatte, fühlte sie sich hier wohl und sicher. Es waren einige Personen anwesend, und noch ehe Jenny sich genauer umsehen konnte, kam ihr ein kleiner Mann entgegen gestürmt.
« Jenny, was bin ich froh, dich endlich hier zu haben. Ich bin Samuel, der Archivar. Ich hab schon so viel über dich gehört und gelesen, dass ich das Gefühl habe, dich ewig zu kennen. Naja, eigentlich ist es auch so. Du bist viel hübscher, als ich es mir vorgestellt habe. Einfach bezaubernd. Und so …, so …, so kräftig. Es ist doch in Ordnung, wenn ich du sage? Wir duzen uns hier nämlich alle ausnahmslos. »
Es floss geradezu aus dem kleinen, dickbäuchigen Mann heraus. Jenny konnte sich nicht helfen, aber er erinnerte sie an einen Hobbit. War das Konrads Vater? Er hatte fast eine Glatze. Die wenigen Haare, die ihm geblieben waren, waren grau und auf der Nase trug er eine Brille. Mit seinen braunen Cordhosen und dem beige-braunen Strickpullover strahlte er echten Buchhaltercharme aus.
Was redet der da? Archivar? Von mir gelesen?
« Tut mir leid, sie verwechseln mich mit jemandem », sagte Jenny. « Sie alle verwechseln mich offenbar. »
« Vielleicht lässt du sie erst mal reinkommen, eh du sie vollquatschst », dröhnte eine tiefe, sonore Männerstimme rechts von ihr.
Erschrocken sah Jenny auf.
Der Mann, der neben ihr stand, war so groß, dass sie zunächst nur seinen Brustbereich sah. Langsam wanderte ihr Blick weiter nach oben. Er musste etwa zwei Meter zwanzig groß sein. Aber nicht, dass er dabei schlaksig und schmal gewesen wäre. Im Gegenteil er war breit und kräftig. Kein Gramm Fett auf den Rippen, Muskeln aus Stahl, aber keineswegs aufgeblasen, wie die eines Bodybuilder.
Jenny konnte nicht anders, als ihn mit offenem Mund anzustarren. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Sein Gesicht war markant und fest, schwarze Bartstoppel und mehrere Narben zierten es. Alles in allem konnte man ihn als respekteinflößende Person bezeichnen. Doch seine tiefbraunen Augen strahlten Jenny Zuneigung und Wärme entgegen. Sein dunkles, kurzes Haar war etwas durcheinandergeraten. Er trug schwarze Jeans, ein helles Hemd und einen schwarzen Ledermantel.
« Ich bin Arthur », sagte er und streckte Jenny seine riesige Pranke entgegen.
Jennys Hand verschwand fast bis zum Ellenbogen darin. Sie nickte stumm, als sei sie mit irgendetwas einverstanden. Was auch immer er von ihr verlangte, sie würde ihm nicht widersprechen.
Jenny schaute sich weiter um. Auf der einen Seite des Zimmers diente ein Rundbogen als Durchgang zum Wohnzimmer. Von dort trat Konrad herein und lehnte sich an die Wand. Er schaute auf die eine Ecke des Zimmers und Jenny traf fast der Schlag, als sie die Person entdeckte, der seine Blicke galten.
Eva!
Eva versank beinahe in dem Sessel, in dem sie saß, so zierlich war sie. Ihr lockiger Pagenkopf hüpfte, während sie Jenny zunickte.
« Hi Jenny », sagte sie reserviert.
Jenny brachte kein Wort heraus. Wie Hagelkörner prasselten die Erinnerungen an ihre letzten Begegnungen mit Eva auf sie
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