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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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kennenlernte«,
antwortete er. »Nein, niemals. Es lohnte sich nicht. Es gab niemanden, den ich
liebte.«
    Er stand mit einem Ruck auf, ging ein
paar Schritte im Zimmer auf und ab und rieb sich das Kinn. Ich hatte das
Gefühl, einen Alptraum zu erleben.
    »Sehen Sie, bis zu meinem sechzehnten
Lebensjahr habe ich eigentlich nur Schläge bekommen. Danach wollten sie mich
alle, Männer, Frauen... aber immer unter einer Bedingung, die... äh... die...«
    Dieser schamhafte Mörder war mehr, als
ich ertragen konnte. Ich schnitt ihm das Wort ab:
    »Ja, ich verstehe.«
    »Niemals, nicht wahr .., niemals etwas
für nichts. Nie etwas umsonst. Bis ich Sie kennenlernte. Ich dachte immer, wenn
man mich da oben erhört, werden Sie... äh... eines Tages...«
    Er errötete, und ich glaube, ich wurde
selbst rot. Ich fühlte mich völlig vernichtet.
    »Als ich begriff, daß es reine Güte
war, begann ich Sie zu lieben. Ich weiß, ich bin Ihnen zu jung, Sie ziehen mir
Paul Brett vor, ich gefalle Ihnen nicht, aber ich kann Sie trotzdem beschützen.
Das ist es.«
    Ja, das war es. Ganz wie er sagte. Das
war es. Ich hatte mich in eine scheußliche Lage gebracht. Ich konnte nichts
tun. Ich war verloren. Ich hatte einen Wahnsinnigen, einen Mörder, einen
Besessenen von der Straße, aus dem Straßengraben aufgelesen. Paul hatte wieder
einmal recht gehabt. Paul hatte immer recht.
    »Sind Sie mir böse?« fragte Lewis
leise.
    Ich gab ihm keine Antwort. Kann man
jemandem »böse sein«, der drei Menschen getötet hat, um einem gefällig zu sein?
Der Ausdruck kam mir ein wenig schülerhaft vor. Ich dachte nach oder vielmehr:
ich tat, als dächte ich nach, denn mein Kopf war völlig leer.
    »Sie wissen, daß es meine Pflicht ist,
Sie der Polizei zu melden, Lewis?«
    »Wenn Sie wollen«, antwortete er ruhig.
    »Ich müßte sie sofort anrufen«, sagte
ich schwach.
    Er stellte das Telefon neben mich, und
wir betrachteten es zusammen mit hoffnungslosen Mienen, als wäre es nicht
angeschlossen.
    »Wie haben Sie es gemacht?« fragte ich.
    »Mit Frank habe ich in Ihrem Namen ein
Rendezvous im Motel vereinbart, in einem telefonisch vorbestellten Zimmer. Ich
stieg durch das Fenster ein. Bei Bolton habe ich sofort gemerkt, was mit ihm
los war. Ich tat, als wäre ich einverstanden. Er war entzückt und bestellte
mich sofort in das anrüchige Hotel. Mit dem Schlüssel, den er mir gab, konnte
man jederzeit in sein Zimmer gehen. Niemand hat mich gesehen. Und Louella...
Ich habe die ganze Nacht damit zugebracht, die Schrauben loszudrehen. Das ist
alles.«
    »Das genügt auch«, sagte ich. Was
sollte ich tun?
    Ich konnte schweigen und Lewis
hinauswerfen. Aber das hieß eine wilde Bestie auf die Straße lassen. Er würde
mir auf Schritt und Tritt folgen und um mich her morden wie eine Maschine. Ich
konnte von ihm verlangen, daß er die Stadt verließ, aber er hatte einen Vertrag
auf mehrere Jahre unterschrieben, und man würde ihn überall ausfindig machen.
Der Polizei konnte ich ihn nicht ausliefern. Ich könnte niemals einen Menschen,
wer es auch sei, der Polizei ausliefern. Ich saß in der Falle.
    »Wissen Sie«, sagte Lewis, »gelitten
hat keiner. Es ging alles sehr schnell.«
    »Was für ein Glück!« sagte ich bitter.
»Sie hätten sie ja auch mit dem Taschenmesser zerstückeln können.«
    »Sie wissen genau, daß ich das nicht
fertiggebracht hätte«, sagte er sanft und griff nach meiner Hand. Zerstreut
überließ ich sie ihm einen Augenblick.
    Dann dachte ich, daß die warme, magere
Hand, die die meine hielt, drei Menschen getötet hatte, und ich fragte mich,
warum mich das nicht mehr entsetzte. Ich riß mich mit einem Ruck los.
    »Diesen Burschen gestern wollten Sie
auch töten, nicht wahr?«
    »Ja, aber das wäre reiner Wahnsinn
gewesen. Ich hatte eine Dosis LSD genommen und wußte nicht mehr, was ich tat.«
    »Während Sie im nüchternen Zustand...
Lewis, ist Ihnen klar, was Sie getan haben?«
    Er sah mich an. Ich betrachtete
eingehend seine grünen Augen, seinen schön geformten Mund, sein schwarzes Haar,
dieses so glatte Gesicht. Ich suchte darin eine Spur des Verstehens oder eine
Spur von Sadismus. Ich sah nichts. Nichts als grenzenlose Zärtlichkeit für
mich. Er beobachtete mich, wie man ein nervöses Kind beobachtet, das wegen
nichts und wieder nichts eine Szene macht. Ich könnte schwören, daß Lewis mich
voll Nachsicht betrachtete. Das gab mir den Rest. Ich begann zu schluchzen. Er nahm
mich in die Arme, streichelte mein Haar. Ich ließ ihn

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