Der Wächter
verwenden kann. Nur bei Lied und Leid werden alle Steine benutzt.«
»Und dasselbe gilt auch für Lid mit einem i und für Eid .«
»Genau. Das führt alles nur in eine Sackgasse. Ich glaube, der Absender wollte auf Lied oder Leid hinaus, entweder einzeln oder zusammen.«
Hazard schmierte Lebneh auf einen Schnitz Fladenbrot. »Vielleicht sollten wir lieber Monopoly spielen.«
Die fünfte schwarze Schachtel hatte ein Buch mit dem Titel Helfende Pfoten enthalten. Auf dem Umschlag war das Foto eines reizenden Golden-Retriever-Welpen.
»Das ist eine Autobiografie«, sagte Ethan. »Der Autor, Donald Gainsworth, hat dreißig Jahre lang Blindenhunde ausgebildet und Apportierhunde für Leute, die im Rollstuhl sitzen.«
»Zwischen den Seiten waren nicht etwa gepresste Käfer oder Vorhäute eingelegt?«
»Nee. Übrigens habe ich jede einzelne Seite nach irgendwelchen Markierungen abgesucht, aber nichts war unterstrichen.«
»Das passt überhaupt nicht zu den anderen Sachen – ein harmloses kleines Buch, sogar mit einem netten Titel.«
»Die sechste Schachtel wurde dann heute Morgen kurz nach halb vier übers Gartentor geworfen.«
Hazard betrachtete die letzten beiden Fotos, zuerst den zusammengenähten Apfel, dann das Auge darin. »Ist der Glupscher echt?«
»Der stammt von einer Puppe.«
»Trotzdem wirkt das Ding auf mich beunruhigender als der Rest.«
»Auf mich auch. Weshalb auf dich?«
»Der Apfel ist das aufwändigste Objekt. Er ist sehr sorgfältig behandelt worden, also hatte er für den Absender wahrscheinlich die größte Bedeutung.«
»Die ist mir bisher leider völlig schleierhaft«, sagte Ethan kläglich.
An das letzte Foto war eine Kopie der maschinegeschriebenen Botschaft geheftet, die zusammengefaltet unter dem Auge im Apfel gelegen hatte. Nachdem Hazard sie zweimal gelesen hatte, sagte er: »In den ersten fünf Päckchen war nichts dergleichen?«
»Nein.«
»Dann ist das wahrscheinlich das letzte Objekt, das der Bursche schickt. Er hat alles gesagt, was er sagen will, mit Symbolen und nun auch mit Worten. Jetzt geht er von der Drohgebärde zum Handeln über.«
»Da hast du wohl Recht. Aber die Worte sind mir ebenso ein Rätsel wie die Symbole, also die Objekte.«
Mit silberner Beharrlichkeit durchschnitten Scheinwerfer den düsteren Nachmittag. Glitzernde Wasserflügel erhoben sich vom nassen Straßenpflaster, verbargen die Räder und verliehen den Fahrzeugen, die auf den Strömungen des Pico Boulevards kreuzten, die Aura einer übernatürlichen Sendung.
»Ein Apfel könnte gefährliches Wissen oder eine verbotene Erkenntnis symbolisieren«, sagte Hazard, nachdem er schweigend eine Weile vor sich hin gebrütet hatte. »Von der Erbsünde ist ja konkret die Rede.«
Ethan nahm einen Happen von dem Lachs mit Couscous. Genauso gut hätte er Grießbrei essen können. Er legte die Gabel wieder weg.
»Die Samen der Erkenntnis sind durch das Auge ersetzt worden«, sagte Hazard eher zu sich selbst als zu Ethan.
Eine Schar Fußgänger eilte an den Restaurantfenstern vorbei, vornübergebeugt wie gegen den Widerstand eines Windes, der stärker war als der des heutigen Dezember-tags. Unter dem unzureichenden Schutz schwarzer Regenschirme gingen sie dahin wie eine Trauergemeinde zum Grab.
»Vielleicht will der Kerl sagen: ›Ich sehe deine Geheimnisse, die Quelle – die Samen – deiner Sünde.‹«
»Mir ist ein ähnlicher Gedanke gekommen, aber der stimmt vom Gefühl her nicht ganz, und außerdem führt er zu keiner sinnvollen Erklärung.«
»Was immer damit gemeint ist«, sagte Hazard, »es ist schon seltsam, dass dieses Auge im Apfel direkt nach einem Buch über jemand gekommen ist, der Blindenhunde abrichtet.«
»Wenn der Absender damit drohen sollte, Manheim die Augen auszustechen, dann ist das schon schlimm genug«, sagte Ethan, »aber ich glaube, er hat noch etwas Schlimmeres vor.«
Nachdem Hazard die Fotos noch einmal durchgeblättert hatte, gab er sie Ethan zurück und wandte sich dann wieder genüsslich seiner Tajine mit Meeresfrüchten zu. »Ich nehme an, du hast deinen Boss gut abgeschirmt.«
»Er dreht gerade in Florida. Fünf Bodyguards begleiten ihn.«
»Und du?«
»Normalerweise reise ich nicht mit, sondern leite alle Schutzmaßnahmen von Bel Air aus. Mindestens einmal täglich telefoniere ich mit dem Chef der fahrenden Ritter.«
»Was für fahrende Ritter?«
»Ein kleiner Scherz von Channing Manheim. So nennt er die Bodyguards, die ihn begleiten.«
»Das soll ein Scherz
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