Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
spricht er das Problem an:
»Die Welt wird Dich sehr tadeln, wenn sie Deine Wahl erfährt; aber ich will Dich rechtfertigen dadurch, dass ich ihr zeige, ein Weib könne an meiner Seite wohl so glücklich sein als in einem goldnen Wagen.«
Da rollt sie schon, die sinnbildliche Kutsche des Reichtums, in der er auf dem Monte Pellegrino in gekränkter Phantasie das für ihn verlorene Mädchen durch die Stadt und durchs Leben fahren sieht. Auf dem Berg reißt er sich das Bildnis vom Hals und endlich die Liebe aus dem Herzen. In seinem letzten, beinahe fünf Jahre zurückliegenden Brief an Wilhelmine hatte er geschrieben:
»Ich bin glücklich gewesen, in meinem Wahn glücklich gewesen, das danke ich Dir. Du kannst stolz sein, es hat mich kein weibliches Geschöpf glücklich gemacht, als Du; Du kannst sehr stolz sein, es wird mich keines wieder glücklich machen.«
Diese trotzige Versicherung widerlegte er später mit Johanna Loth. Aber im Januar 1797 war die schwer heilende und erst auf dem sizilianischen Marsch vernarbende Wunde noch ganz frisch:
»Ich versichere Dich, Liebe, ich werde Dich nicht aus meiner Seele verlieren. […] Wilhelmine, Du hättest redlicher mit mir handeln sollen; bei Gott, ich hätte Dir alles aufgeopfert. Wirst du glücklich sein, wenn ich bei Deiner Hochzeit ein Trauerlied singe, dass meine Freunde mit mir weinen?«
Als er im Mai 1798 dann tatsächlich von ihrer Hochzeit hört, kann er das kaum verkraften und schreibt an Gleim:
»Ihr Brief ist meiner Seele ein wahrer Balsam gewesen. Ich erhielt ihn an einem Abend, der mir einer der bösesten meines Lebens war, noch schlimmer als der hinter den Tonnen in Warschau [wo er als Soldat in russischem Dienst den Aufstand der Polen überlebte]. Es war mir eben zufällig gemeldet worden, dass es der Trauungstag des Mädchens war, der mein Herz zu viel getraut hatte, und ich fühlte mich in meiner ganzen Schwäche. Doch stille davon! Männer müssen Männer sein, auch wenn die Laute Wehmut tönt.«
Auch an Wilhelmines Gatten schrieb Seume einen Brief. »Ich vergebe ihr gern und wünsche ihr Glück«, verkündet er so großartig wie ungefragt, bevor er den rund elf Jahre jüngeren, frisch vermählten Ehemann erst rügt und dann mit Erkenntnissen über den Charakter von dessen Gattin aufwartet:
»Sie selbst, mein Herr, haben bei der Sache als ein junger, nicht ganz ernsthafter Mann gehandelt. Ich wünsche Ihnen Glück; Sie haben das nötig. Ihre Frau ist gut, ich habe sie tief beobachtet, und würde nicht im Stande gewesen sein, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren. Dass zwischen uns nichts Strafbares vorgefallen ist, dafür muss Ihnen mein Charakter und meine jetzige Handlungsweise bürgen. Sie hat Fehler: sie kann hassen, verzeiht nicht leicht und ist leichtsinnig. Sie haben also keinen leichten Gang mit ihr. Sie müssen ihr manchen Fehler vergeben, und selbst keinen begehen. […] Sie sind ein Mann; von Ihnen hängt alles ab. Wenn Wilhelmine je von ihrem Charakter sinken könnte, ich würde den meinigen fürchterlich rächen. Verzeihen Sie und halten das nicht für Impertinenz.«
Das ist schon für sich genommen ein starkes Stück. Doch dann verlangt er auch noch:
»Wenn Sie selbst Ihre Pflichten immer erfüllen, so führen Sie ihr immer in einer ernsthaften Stunde mein Andenken wieder zu. Es kann ihr heilsam werden, und soll Ihnen nicht schaden.«
Zu Wilhelmine selbst hat er zum Zeitpunkt dieses Briefes seit über einem Jahr keinen Kontakt mehr. Aber in einer Mischung aus Treue und Verbohrtheit lässt er weiterhin nichts auf sie kommen. Nicht einmal von Vater Gleim:
»Sie haben das Mädchen nicht gekannt und dürfen also kein Urteil über sie sprechen. Es soll ihr wohl gehen; ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen; aber verdammen lasse ich sie nicht; und sollte ich noch jetzt mein Leben für sie opfern. So glücklich werde ich nie wieder werden, als ich einige Monate in dem schönen Traum war. […] Ich habe Kraft genug, jeder Schickung mutig entgegen zu sehen; aber ich will mir selbst die Schattenbilder der Vergangenheit nicht nehmen lassen. Sie sollen meine leere Zukunft ausfüllen. Mit dem Nestbauen wird es nunmehr wohl bei mir getan sein.«
Aber nachdem er sich die Liebe zu Wilhelmine aus dem Leib gelaufen hatte, gab es doch noch einen Nestbauversuch. Wieder handelte es sich um ein ›reiches‹ Mädchen, wieder hatte Seume wohl von vornherein keine Chance, wieder geriet er an den Rand des Selbstmords, als er von der Verbindung der
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