Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
seinem Bildnisse vorhielt, sank er, wie von einem elektrischen Funken gerührt, in meine Arme, und führte mich zu seiner jungen Frau als seinen alten Freund.«
Aber schon mit dem nächsten Satz verlässt Seume den alten Freund im Briefbericht und geht zur Weimarer Station seiner Rückreise über. Im Spaziergang hingegen hat er die Wiederbegegnung etwas ausgeschmückt:
»Hier habe ich ein kleines Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war, als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führt mich im Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder einer der schönsten Momente meines Lebens. Einige Tage blieb ich bei ihm und seinen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Gesellschaft.«
Die Einschränkung wegen der »ernsteren Stimmung« ist wohl berechtigt. Jedenfalls war Münchhausen über Seumes Benehmen deutlich verärgert: »Seume, vor einigen Monaten war er bei mir«, schrieb er an einen anderen Freund, »hat mir aber nicht mehr gefallen. Er kam von seiner Reise aus Italien zurück u. war – ganz italienische Reise u. Original Mensch in seinem Sinn. Meiner Frau, die doch sonst so schonend richtet, tat es leid, dass er gekommen war, als er ging: denn er nahm ihr die hohe Idee mit fort, die sie vorher von ihm hatte.«
Münchhausen beschwerte sich auch bei Seume über Seume, der missmutig seinen Missmut während des Besuchs zu rechtfertigen versucht:
»Es ist möglich, dass ich irgend wo das Ansehen der Hartnäckigkeit und Anmaßlichkeit gehabt habe, es ist aber auch schwer, dieses nicht zu haben, wenn man oft auf meine heiligsten Überzeugungen stößt und den Menschen aus seinem Innersten weckt. Vielleicht haben mich die Leute nicht erkannt, vielleicht verdienen sie nicht, mich zu kennen; vielleicht habe ich auch selbst in der Art meines Ausdrucks gefehlt: denn meine Verhältnisse erlaubten mir nicht – den Grazien genug zu opfern. Es gehört schon etwas Stärke dazu, alle die Misskennungen zu ertragen, die ich ertragen habe, und doch kein Murrkopf zu werden. Gegen Sie bin ich wohl zuweilen etwas anmaßlich gewesen; das wurde vielleicht durch meine Freundschaft gerechtfertigt oder wenigstens entschuldigt.«
Von den Grazien, denen Seume nicht genug zu opfern wusste, hat sich eine zu Wort gemeldet: die Dichterin Arnoldine Wolf: »Münchhausen war nicht zufrieden mit ihm. Jüngst erst zurückgekehrt vom Altare, an welchem der priesterliche Segen seine feurige Liebe krönte, konnte er die ruhige Kälte seines ältern Freundes [Münchausen, Jahrgang 1759, war der Ältere!] nicht begreifen, der seine junge schöne Frau nicht mit der erwarteten freundschaftlichen Wärme und ihn nicht mit der gehörigen Teilnahme an seinem Glück begrüßt hatte.«
»Flieh’ vor dem Weibe«, hatte Seume Freund Münchhausen im Abschiedsschreiben zugerufen, und offenbar hielt er beim Wiedersehen das Weib immer noch für ein »Krokodil vom Nil«, wie Münchhausen in seinem Antwortgedicht befürchtet hatte.
Das missglückte Wiedersehen dieser poetisch inszenierten Freundschaft hatte ein wiederum poetisches Nachspiel. Wahrscheinlich veranlasst durch Münchhausen, schickte Arnoldine Wolf »Nach gemachter persönlicher Bekanntschaft« ein so betiteltes Gedicht an Seume, in dem sie die Vermutung äußert, seine Ungefälligkeit rühre daher, dass eine Frau ihn einmal tief verletzt habe. Seume antwortete seinerseits mit einem Gedicht, das sowohl vom Freundesbesuch als auch von der Liebesverletzung handelt:
»Ich kam, und war so herzlich froh, und dachte,
Dass ich dem Freund gewiss Vergnügen machte;
Und nun zerstört man mir den süßen Wahn.
So hätt’ ich denn mit meinem ganzen vollen
Gefühl für ihn vorüber pilgern sollen!
Das hätt’ ich dann als euer Mann getan.«
Zwei Strophen später:
»Nun ja, man [Wilhelmine] hat mir Liebe vorgelogen;
Darüber ist mein schöner Lenz verflogen:
Doch dies macht mich nicht dunkler als ich war.«
Wolf wiederum reagierte mit einem Sonett: Meine Rechtfertigung an Seume . Gegen Ende von Seumes Leben, er war schon schwer krank, bat Arnoldine um die Rückgabe ihrer Gedichte und um die Erlaubnis, sie mit dem Seumes veröffentlichen zu dürfen. Seume antwortete:
»Hier folgen die Verse zurück. Ich gebe Ihnen Erlaubnis, damit zu tun, was Ihnen beliebt. Ich bin meines Taktes so gewiss, dass mein Charakter [Hervorhebung von
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