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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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persönlich, aber auch wahr und gerecht.«
    Die Entwertung einer politischen Position durch die soziale Position dessen, der sie vertritt, kann aber nicht nur dem Benachteiligten zu schaffen machen, der seine Unzufriedenheit äußert, sondern auch dem Bevorzugten, der, selbst zufrieden, aber gar nicht unbedingt selbstzufrieden, sich mit der Unzufriedenheit des Gegenübers konfrontiert sieht. Münchhausen hat das erleben müssen, auch bei manchem Brief, in dem Seume aristokratische Privilegien kritisierte, wohl wissend, dass er damit den Empfänger, der über ebendiese verfügte, am Zopf zog oder ernsthaft verärgerte. Über die Jahre, die zwischen der Trennung bei der Rückschiffung nach Europa und der lyrischen Kontaktaufnahme durch Münchhausen vergingen, schrieb Münchhausen in seinem Rückblick auf verlebte Tage : »War er tot oder hatte er mich vergessen? […] War er ein wichtiger Mann geworden und der gewesene Fähnrich [also Münchhausen] ihm zu wenig, oder konnte der Bauernsohn dem Ritter keine Freundschaft erwidern – ?? Das eine war schlimmer als das andere. Es gibt solcher Menschen nicht wenige, die zwar nicht eben den Mann, aber doch den Stand hassen. […] War etwa auch Seume einer von diesen gewesen?«
    Als Münchhausen sich in seinen Memoiren an diese Zeit der Fragen erinnerte, war Seume schon lange gestorben. Trotzdem kannte er dessen posthum veröffentlichtes Mein Leben noch nicht. Erst im Juli 1835, ein Vierteljahrhundert nach Seumes Tod und am Ende seines eigenen Lebens, reimte sich Münchhausen nach der Lektüre von Seumes Halbautobiographie erbittert eine Abrechnung zusammen.
    Nach einer persönlichen Kränkung kehren stets die sozialen Ressentiments zurück. Die Sympathie hat sie nicht beseitigt, nur überdeckt, und nach deren Erlöschen kommen sie wieder zum Vorschein, trotz all der vergangenen Jahrzehnte frisch wie am ersten Tag. Münchhausens Gedicht ist wie ein Strick, zum Zerreißen gespannt zwischen dem »entlaufenen Studenten« am Anfang und dem »Edelmann« am Ende: »Da les’ ich von einem verloff’nen Studenten,/Sogar von einem der Theologie –,/Verflickt mit Hochmut zu hundert Prozenten –/Die lumpigste Lügen-Biographie. […] Ich trank mit ihm aus einem Becher,/Ich aß mit ihm von einem Brot,/Und teilte mit dem – Lügen-Sprecher –/Was mir das karge Schicksal bot./Ich nahm ihn auf in meinem Zelte/Ich lud ihn in mein Winter-Haus,/Und wenn der Hund des Mangels bellte,/Da half ich ihm wie Bruder aus.«
    Erwiesene Wohltaten sind wie Leichen im Keller – der Seele von jenen, die sie erhalten, wie derjenigen, die sie gewähren. »Nein, bei der Bowl’ am Scheide-Mahle/Was war’s wohl, was er da geweint?/War’s Trug, wie bei Graf Hohenthale?/Der’s auch so treu als ich gemeint? […] Nichts hat er, nichts von dem vollendet,/Was er beim Abschied mir verhieß,/Nicht eine Zeile mir gesendet,/der mich zehn Jahre suchen ließ! […] Doch da nach Jahren mir’s gelungen,/Dass ich ihn endlich aufgespürt,/Was hat ich Großes mir errungen?/Ein Markt-Vieh, das zum Trog man führt.«
    Ressentiments sind Kapseln zum Speichern von Hassenergie. Wird diese Energie freigesetzt, schärft das Verletzungsverlangen die Beobachtungsgabe wie die des Jägers auf der Pirsch nach dem Wild. Aber der Jäger selbst hinterlässt auch Spuren. Der Rittergutbesitzer wirft dem Bauernsohn vor, ein Markt-Vieh zu sein, sich mit seiner Ware, den Worten, feilbieten zu müssen, während er selbst, ganz aristokratisch, Leute hat, die für ihn arbeiten und das Erarbeitete für ihn auf den Markt bringen. »Jetzt – nach dem Semis vom Jahrhundert [dem halben Jahrhundert seit der ersten Begegnung zwischen den beiden]/Les ich die Lüg-Biographie –/Da hab ich fast mich tot gewundert/Ob Hochmut und Demagogie.//Die Data sämtlich ganz erlogen,/Die noch dazu er plump ersann;//So hat er seinen Freund betrogen,/Der war ihm nichts als – Edelmann!!«

Viertes Kapitel
Militärwesen

    Kampflos in der Neuen
Welt – Aufstand in Warschau –
Soldat und Söldner

»Unser Bataillon sah aus buntscheckig, wie eine Harlekinsjacke, da es aus den Uniformen aller Regimenter bestand. Wir hatten weder Fahnen noch Kanonen, da es täglich hieß, wir sollten zu unsern Regimentern stoßen.«
– Mein Leben –

»Das Blutbad brach den grünen Donnerstag aus.«
– Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794 –

»Soldat heißt seinem ersten Ursprung nach wohl eigentlich weiter nichts als Söldner, Dukatenkerl, und

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