Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
ganze Abhandlung lateinisch geschrieben war, und obwohl Seume viel Mühe aufwandte, das Werk unter das philologisch begrenzte Publikum zu bringen, gelang ihm die Veröffentlichung nicht. Im Oktober 1807, Seume durchlebte die letzten bitteren Jahre, kündigte er dem Verleger Johann Friedrich Cotta die Arbeit an:
»Ich bin jetzt Willens, einen Faszikel Bemerkungen, Erklärungen und Konjekturen über die schwersten Stellen des Plutarch lateinisch zu schreiben, der für die Philologen vielleicht nicht ganz unwichtig werden wird. […] Mein Hauptanteil soll aber eine Art von Vorrede werden, so ungefähr wie sie vor meinem Sommer steht, aber besser, ausgeführter und kräftiger vielleicht, da sich das Latein mehr zu einem solchen Vortrage hergibt, als unsere Halbbarbarei. Es fragt sich nun, ob Sie so etwas drucken können und wollen?«
Cotta konnte und wollte nicht. War nicht Mein Sommer in einigen Ländern verboten? Wie sollte man da zu drucken wagen, was noch »ausgeführter und kräftiger« daherkam, und sei es auf Latein? Der Verleger Göschen und sein Mitschreiber Clodius bezeichnen in ihrer Fortsetzung von Mein Leben die Vorrede als »so kühn«, »dass sie kein Buchhändler drucken konnte«.
Diese Einschätzung teilte auch Wieland, dem Seume den Text geschickt hatte. Bewundernd und erschrocken zugleich wies er Seume darauf hin, dass »sich kein Verleger noch Drucker ohne offenbare Lebensgefahr entschließen« können würde, dieser »grausenhaften wahren und schrecklich schönen Philippica« an die Öffentlichkeit zu helfen. Wieland ist beeindruckt von »der riesenhaften Stärke, womit Sie mit Ihrer aus Furienschlangen geflochtenen Geißel auf die großen und kleinen Sünder in und außer Deutschland ohne alle Barmherzigkeit lospeitschen«, hält alles aber doch für sehr übertrieben. Im »Grunde ist dieses Gemälde – mit all seiner Wahrheit im Einzelnen [Hervorhebungen von Wieland] – gleichwohl, aus dem rechten Stand- und Gesichtspunkt betrachtet, nicht wahr , und kann es nicht sein, wie Sie selbst, so bald Sie sich auf jenen Standpunkt stellen, so gut und besser als ich einsehen müssen«.
Man fühlt sich beinahe daran erinnert, wie Seume darüber dachte, was Klopstock hätte denken müssen, wäre er Klopstock gewesen. Doch damals ging es nur um Versfüße und Kommas. Der weise Wieland wendet sich gegen »fruchtloses Martertum«, er lobt Seumes Zorn und stellt doch sogleich dessen Angemessenheit infrage. Aber Seume war eben nicht Wieland, ihm saßen beim Schreiben nicht Ironie und Feinsinn in den Fingerspitzen, ihm pochte die Empörung im Hals. Das ist in der Vorrede zum Spaziergang zu spüren, in der zu Mein Sommer 1805 und in der zur Übersetzung von Robert Percivals englischer Beschreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung . Im Vorwort zum Plutarch wird vieles aus den anderen Vorreden noch einmal gebündelt, zum Rutenbündel, zu einer furiosen Geißel. Seume verdammt die Privilegien des Adels, empört sich über die Sklaverei, klagt Napoleon an, schmäht die deutschen Fürsten und lobt einen längst gestorbenen preußischen König:
»Je mehr Vermögen jemand besitzt, um so mehr strebt er nach Privilegien, damit er die übrigen quälen, unterdrücken, wie Klötze und Dummköpfe behandeln kann.«
»Niemand darf gezwungen werden, für einen Andern wider seinen Willen eine Arbeit zu tun. Sklave ist von Natur niemand und darf es auch nicht durch ein Gesetz werden.«
»Jene unsere gepriesene Freiheit bestand nur in häufiger ungesetzlicher Grausamkeit der Fürsten gegen Alle, in dem Übermut und der Anmaßung des Adels gegen Bürger und Bauern, in einem schändlichen, im höchsten Maße verderblichen Handel mit Privilegien und in der allertiefsten Erniedrigung des Volkes.«
»Ein Vaterland – mich schaudert, es zu sagen – ein Vaterland haben wir nicht mehr; der Fremde [Napoleon] hat uns gänzlich in seiner Gewalt, hat uns unterjocht, zu Sklaven gemacht.«
»Seit Friedrich dem Zweiten von Preußen gibt es nur wenige Männer des deutschen Volkes, die mit Ehren in das Buch der Geschichte eingetragen werden können.«
Lob der Könige
Die Könige sind die Väter, die Königinnen die Mütter der Völker. Selig das Volk, das gute Eltern hat – wehe der Nation, die beide entbehrt. Seume sah dies durch das Beispiel Polens bestätigt, das einen schwachen König von russischen Gnaden hatte, und dessen Adel am Erhalt der eigenen Privilegien mehr gelegen war als am Erhalt der Nation. Seume sah dies auch durch
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