Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Honorar zu verdienen, sondern um die Hoffnung zu erwerben, nicht sogleich mit meinem Tode zu sterben.«
Sechstes Kapitel
Gesellschaftskritik
Vorreden der Empörung – Lob der
Könige – Verdammte Privilegien – Leibeigene
und Sklaven – Spitzköpfe und
Plattköpfe – Fleiß der Leute, Schönheit
der Lande – Vorsicht Revolution – Verzweifeln an
Napoleon – Patriotismus ohne Vaterland
»Nur gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass einst ursprüngliche Gerechtigkeit sein werde«.
– Vorrede zur 2.Auflage des Spaziergangs nach Syrakus –
»Lobet die Fürsten, wenn sie gestorben sind«.
– Aus dem Gedicht Amalia –
»Ich bin kein Gegner der Alleinherrscher, wenn sie republikanisch walten, […] aber ich werde mit meinem letzten Hauche jedes Privilegium und jede Realimmunität als eine Pest der Gesellschaft verabscheuen.«
– Vorrede zu Mein Sommer 1805 –
»Wer zu mir sagt, du bist mein Sklave, das heißt, ich gebrauche dich unbedingt als Werkzeug zu meinen Zwecken, der gibt mir für den schicklichsten Moment rechtlich den Dolch in die Hand.«
– Vorrede zu Robert Percivals Beschreibung des Vorgebirges der Guten Hoffnung –
»Demut und die mit ihr verwandte Geduld sind Eselstugenden, die die Spitzköpfe den Plattköpfen gar zu gern einprägen.«
– Apokryphen –
»Und wenn bei allem Segen des Bodens und bei allem Fleiße der Arbeitenden, der Landmann dennoch in Lumpen geht, in Rauchlöchern wohnt, den Kummer und das Elend im Gesichte trägt, so ist das ein vollgültiger Beweis, dass er durchaus nicht für sich selbst arbeitet.«
– Über Garlieb Merkels Die Letten –
»Du weißt, dass ich durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens das Schlechte noch schlimmer macht«.
– Spaziergang nach Syrakus –
»Alles ist voll von Napoleon«
– Vorwort zu Ein Bändchen Bemerkungen und Konjekturen zu zahlreichen schwierigeren Stellen des Plutarch –
»Ein Vaterland – mich schaudert, es zu sagen – ein Vaterland haben wir nicht mehr; der Fremde hat uns gänzlich in seiner Gewalt, hat uns unterjocht, zu Sklaven gemacht.«
– Vorwort zu Ein Bändchen Bemerkungen und Konjekturen zu zahlreichen schwierigeren Stellen des Plutarch –
Seume ist nicht gleich nach dem Tode gestorben, wie er in seinem Brief an Kuhn schrieb. Dabei hat er keine »größere Arbeit« mehr gemacht. Eine systematische Gesellschaftsanalyse war nicht seine Sache. Sein Theoretisieren und Philosophieren blieb fragmentarisch und aphoristisch, sein politisches Denken benutzte und bediente die Konventionen der Aufklärung, seine soziale Kritik ging selten an die Wurzel, sondern kämpfte gegen ›Auswüchse‹. Dennoch hat er eine Sonderstellung in der deutschen Publizistik um 1800. Wie nur wenige sprach er deutlich aus und schrieb ausdrücklich nieder, was viele dachten, aber nicht zu äußern wagten. Wer ein Amt und eine Familie hat, wer Pfründe und Honoratiorenruf verteidigen muss, lehnt sich nicht aus dem Fenster, auch nicht aus einem, das auf den publizistischen Marktplatz hinausgeht. Weil Seume privat alleinstehend war und beruflich keiner Amtsdisziplin unterworfen, weil er zudem bescheiden, nachgerade ärmlich zu leben wusste und zugleich mit dem Spaziergang einen gewissen Ruf erworben hatte, konnte er herausschreien, was etabliertere Leute mit der Vorsicht derer, die etwas zu verlieren haben, nur gedämpft und verklausuliert oder in Sinnbildern und Metaphern unter das Publikum brachten. Die artige Form nahm der Kritik, die sich wappnete, indem sie sich schmückte, die verletzende Spitze und die verstörende Wucht – ebendas, was die Schriften Seumes bis heute hinreißend lesenswert macht. Auf diesen schriftstellerischen Charakterzug haben schon Göschen und Clodius in der Fortsetzung von Seumes Lebensgeschichte hingewiesen: Seit dem Spaziergang »tadelte er mit Kühnheit alles, was er als Fehler und Missbrüche in den gesellschaftlichen Verhältnissen erkannte und sagte ohne Schonung der Personen das Gute und Böse einer jeden Verfassung gerade heraus«.
Vorreden der Empörung
»Was ich gewagt habe mitzuteilen, schätze ich nicht hoch, denn ich bin nicht der Mann, dass ich nach Maßgabe meines verflossenen Lebens dem Ruhme unter Gelehrten nachjagen sollte.«
So heißt es gegen Ende des Vorwortes, das Seume einer philologischen Abhandlung über Plutarch, den Verfasser lateinischer Parallelbiographien berühmter Griechen und Römer, beigeben wollte. Obwohl dieses Vorwort sicherheitshalber wie die
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