Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
jetzt nahm er die Gestalt wahr, die sich im Schatten des hintersten Winkels verbarg.
» Immer noch durstig?« Der Mann trat aus dem Schatten und kam auf ihn zu.
Benjamin erkannte ihn sofort. Es war Løvengren.
» Die meisten geben nach zehn bis fünfzehn Sekunden auf. Du hast anderthalb Minuten durchgehalten, Benjamin. Gut gemacht.«
» Danke.«
» Du hast das beste Testergebnis von allen.«
Benjamin konnte sich ein zaghaftes Lächeln nicht verkneifen. » Ich bin einfach froh, dass ich’s hinter mir habe.«
Løvengren setzte sich auf die Kante der Pritsche und schaute auf ihn hinab.
» Deshalb ist es sehr bedauerlich, dass wir dich nicht behalten können.«
» Warum … nicht?« Ihm versagte beinahe die Stimme.
Løvengren nahm ein Pillenglas aus seiner Tasche und stellte es auf den Tisch. Benjamin erkannte es sofort.
» Weil ich nicht sicher bin, ob ich mich auf dich verlassen kann.«
» Aber das können Sie. Die Tabletten habe ich nur direkt nach meiner Heimkehr genommen. Ich brauche sie nicht mehr.«
» Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist. Du hast mir auch nichts von deinen psychischen Problemen erzählt, die du nach deiner Heimkehr hattest.«
Benjamin schüttelte den Kopf. » Ich hatte keine …«
» Lass gut sein, Benjamin. Glaubst du etwa, wir würden den persönlichen Hintergrund unserer Anwärter nicht untersuchen? Ich weiß genau, welche Medikamente dir verschrieben wurden. Und ich kenne auch die Ergebnisse deiner psychischen Untersuchungen, die beim Militär und im Bispebjerg-Hospital durchgeführt wurden. Beide haben dir PTSD , eine Posttraumatische Belastungsstörung, attestiert. Du bist ein Kriegsinvalide.«
Benjamin schlug die Augen nieder. Er war den Tränen nahe. » Ich bin wieder gesund.«
» Warum hast du dann gestern Abend nach deinen Pillen gesucht?«
» Um sie wegzuwerfen.« Tränen liefen ihm übers Gesicht.
» Das kann ich mir nicht vorstellen.«
» Es stimmt aber.«
» Was ist damals in Helmand geschehen?«
Benjamin wischte sich rasch seine Tränen fort. » Nichts Besonderes. Ich meine … okay, es war natürlich schrecklich. Viele aus der Einheit 8 sind umgekommen. Auf unseren Patrouillen wurden wir täglich angegriffen. Es war wie in einem Schlachthaus, wie die Zeitungen schrieben.«
» Was ist dir persönlich in Helmand passiert?«
Benjamin wich seinem bohrenden Blick aus. » Ich hatte wohl das Glück des Tüchtigen, wie Sie während des Anstellungsgesprächs gesagt haben. Jedenfalls bin ich mit dem Leben davongekommen. Habe eine Tapferkeitsmedaille erhalten. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.«
» Nicht ganz.« Løvengrens Blick ruhte immer noch auf ihm. » Erzähl mir von Jannick.«
» Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er war ein guter Kamerad, der gefallen ist. Der mit drei anderen auf einer Patrouille getötet wurde.«
» Warum rufst du in der Nacht seinen Namen?«
Benjamin klappte der Mund auf. » Tue ich das?«
Løvengren nickte. » In jeder Nacht. Erzähl mir von dem Tag, an dem er gestorben ist.«
Benjamin senkte den Kopf und wiegte ihn langsam hin und her.
» Da unten sind die Antworten nicht zu finden«, sagte Løvengren ruhig.
» Wir waren auf Patrouille«, begann Benjamin leise. » Es war eigentlich eine harmlose Mission. Wir wollten einen Compound, eine Einrichtung besuchen, die uns freundlich gesinnt war. Früher im Jahr hatten wir für die Bauern der Gegend einen Brunnen gebohrt. Jetzt wollten wir ein paar Schulsachen vorbeibringen, Bleistifte, Schreibblöcke, auch ein paar Fußbälle für die Kinder. Unser Transporter war bis obenhin voll, und wir hatten uns darauf gefreut. Aber dann gerieten wir in einen Hinterhalt. Die Taliban hatten mitten in der Einrichtung eine IED platziert. Die hat unseren Wagen zerrissen. Zwei Kameraden starben unmittelbar durch die Explosion. Wir anderen haben versucht, uns irgendwie in Sicherheit zu bringen.« Sein Mund war trocken. Seine Hände zitterten. » Die waren überall und nahmen uns unter Beschuss. Von den Dächern und den anderen Häusern aus. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns in einem benachbarten Haus zu verschanzen.«
» Und Jannick?«
» Er und die anderen haben es nicht bis zu diesem Haus geschafft. Jannick lag schwer verletzt neben dem Wagen, aber wir konnten ihn nicht bergen. Jedes Mal, wenn wir die Tür öffneten, wurde sofort auf uns geschossen. Wir musste im Haus bleiben und auf Verstärkung hoffen … Zwischendurch hörten wir Jannicks Schreie.«
» Sprich
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