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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Protokollantin hat jedenfalls nichts übersetzt.»
    «Prokoptschuk sagt, all seine Beziehungen zu Frauen seien gescheitert.»
    «Ja, ja. Heute reduzieren sie alles aufs Sexuelle. Spielen den Freud. Eine Überreaktion nach der jahrelangen Gängelung. Aber richtig ist, dass sogenannte normale Frauen ihm Angst machen.»
    «Kann man ihm irgendwie helfen?»
    «Vergessen Sie es. Dabei gehen Sie am Ende selber drauf.»
    Aus dem Schlafzimmer kam ein hässlicher nasser Husten, ein Atemstolpern, dann beschleunigte sich das Plätschern.
    «Ich muss den Arzt rufen», sagte Guzman. «Wollen Sie vielleicht so lange spazieren gehen?»
     
    Olha hat ein Kind. Nur daran dachte Konrad, als er die Stufen des schmalen, überheizten, feucht-warmen Treppenhauses hinabstieg. Auch hier roch es nach Schimmelpilz. Niemand in der Familie hatte je diese Schwangerschaft erwähnt, geschweige von einem Kind gesprochen. In den Protokollen keine Spur davon. Wenn es auf die Welt gekommen war, war das eine ganz neue Figur! Und wer war der Vater? Auch viel jünger musste dieses Kind sein, jünger als Arkadij.
    Unten an der Straße des Sieges warf er noch einen Blick zu Guzmans Balkon im zweiten Stock hoch, der auf unverputzten, rostigen Stahlträgern ruhte.
    Er beschloss, dem alten Mann Zeit zu lassen und einen längeren Spaziergang zu machen. Rechts zog sich die Altstadt den Hügel hinauf, irgendwo dort wohnte Svetlana. Er wandte sich nach links und wanderte an der vierspurigen Schnellstraße entlang, vorbei an mehrstöckigen Plattenbauten, unter einer Hochstraße hindurch, über eine riesige Kreuzung und noch eine. Er ging und ging und wurde schon müde, als ihm ein dunkler Bison den Weg versperrte. Der Bison war aus Bronze und stand vor dem Eingang des Zoos. Konrad kaufte sich eine Eintrittskarte, ging durch die Drehtür und schlenderte in den Garten. Wenige Kilometer entfernt starb Guzmans Frau, hier wanderten Eltern mit ihren Kindern umher, ganze Schulklassen mit ihren Lehrerinnen zogen in Zweierreihen vorbei, die Kleinen hielten sich an den Händchen gefasst. Russisch und Ukrainisch gingen quer durcheinander. Es gab kein böses Blut, niemand äugte boshaft zur Seite, wenn er die andere Sprache hörte.
    Hinter einer Hecke stand ein Nashorn auf dem langweiligen, matschigen Lehmboden. Ein trauriges, nicht sehr großes, lederiges Tier, beinahe reglos stand es da, sodass man hätte denken können, es lebte nicht, bis es endlich doch den Kopf mit den kleinen Äuglein ein Stück zur Seite wandte. Ganz langsam. Das Nashorn langweilte sich so sehr, dass eine Eisenstange und eine Hecke genügten, um es in seine Grenzen zu weisen. Das Tier hatte jede Hoffnung fahrenlassen, jede Hoffnung auf ein Wunder. Verbannt war noch die fernste Erinnerung an die verbrannte Steppe in Uganda, in der es frei gewesen wäre und ein König. Auch wenn es schon hier geboren war, musste so eine Erinnerung ja irgendwie noch in ihm sein. Erniedrigt und entselbstet stand es jetzt hier im Zoo von Kiew. Man konnte auch nicht sagen, ob es klug war oder einfach nur so wirkte, denn es konnte ja nicht sprechen.
    Guzman hätte für diese Diskussion keinen Nerv mehr gehabt. Er war damit beschäftigt, seine Frau zu beruhigen, ihr das Sterben zu erleichtern. Konrad hatte das Zimmer am Ende des Flures nie betreten. Guzman hatte auch nie den Versuch gemacht, ihn seiner Frau vorzustellen. Schon das Stärkerwerden jenes spezifischen Geruchs von Chloroform und anderen medizinischen Substanzen nach ein paar Schritten in diese Richtung hatte Konrad abgeschreckt. Und dieses regelmäßige Rasseln. Er stellte sich vor, was er dort zu sehen bekäme, und wollte lieber nicht. Vielleicht zog Guzman in diesem Moment eine Spritze auf. Oder tauschte den Infusionsbeutel aus. Schaltete das Beatmungsgerät ein. Links standen zwei Giraffen. Rechts kam er an Auerochsen vorbei, die nicht merkten, dass ihnen Wollfussel im Nacken klebten. Auch sie beinahe reglos. Wieder hörte er das Geräusch wie von einer sich langsam drehenden Waschmaschinentrommel, das aus dem dunklen Zimmer drang, und der plätschernde Atem bekam allmählich einen bedrohlichen Klang. Bald klang er wie ein kehliges Knurren. Dann roch Konrad einen aufregend kräftigen Geruch und kam zu sich. Das war Olhas Geruch.
    Er stand an der brusthohen Steinmauer eines weitläufigen Geheges. Das sandige Felsterrain mit kargen Sträuchern in der Mitte war durch einen tiefen Wassergraben von den Besuchern getrennt. Konrad hielt zuerst zwischen den Felsen nach

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