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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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in den orangen Westen verdoppelten die Hitze der Stadt. Sie teerten die Schlaglöcher auf dem Prospekt des Sieges. Das frisch verstrichene, klebrige Schwarz dampfte, über den Trommeln flimmerte heiße Luft. Das Eis von den Buden zerfloss schon, wenn man die Waffel in die Hand bekam, und die Himbeerlimonade, aus durchsichtigen Plastikbottichen gezapft, klebte an den Händen, zudem musste man dann gleich die Wespen verscheuchen. Schweiß, Teer, Limonade – alles klebte. Ein Tankwagen kroch vorbei und versuchte, mit gesprengtem Wasser den Staub am Boden zu halten. An der Metrostation Schuljawska stieg Konrad in den Trolleybus.
    Oben, im Schatten der alten Bäume, war es erträglicher. Die Stille auf dem Klinikgelände tat nach dem Lärm im Stadtzentrum gut. Prokoptschuk öffnete ihm im kurzärmligen weißen Hemd und wirkte freundlicher als sonst.
    «Ein kleines Wunder», sagte er und wies nur mit der Hand in Richtung von Arkadijs Zimmer. «Er hat schon nach Ihnen gefragt.»
    Arkadij lag nicht wie sonst auf seinem Bett, sondern saß daneben, auf dem Stuhl, das Gesicht zur Tür gewandt. Die Arme ausgestreckt, die Hände auf den Knien, wie ein Schüler, der darauf wartet, zum Ausflug abgeholt zu werden. In dem alten Klinkerbau war es kühler als draußen.
    «Guten Tag», sagte Arkadij heiter und wies ihm den zweiten Stuhl.
    «Bitte nehmen Sie Platz.»
    Konrad staunte.
    «Wo sind Sie gewesen?», fragte Arkadij.
    «Ich denke, Sie wissen das sowieso?»
    Arkadij lächelte.
    «Svetlana war hier.»
    «Was? Sie selbst, bei Ihnen?»
    «Ja. Sie hat gefragt, ob Sie gestern hier waren.»
    «Ist nicht wahr.»
    «Doch. Seltsam, oder? Ich habe immer geglaubt, Sie hocken die ganze Zeit bei ihr. Und jetzt kommt sie und fragt mich, wo Sie sind. Wenn das nicht lustig ist.»
    «Na ja.»
    «Ich will gar nicht wissen, wo Sie gestern waren, sicher haben Sie genug zu tun. Aber wir müssen uns einmal unterhalten», sagte Arkadij. «Ich habe lange nachgedacht. Ich verstehe jetzt Ihr Problem.»
    Ein rascher Seitenblick, ein weißes Huschen des Augapfels, das Konrad nicht bemerkt hätte, wenn er nicht zufällig den Kopf gedreht hätte.
    «Das Problem mit dem Auto, meine ich. Ihr Privatleben geht mich ja nichts an.»
    «Da bin ich Ihnen aber dankbar.»
    Konrad musste sich zur Ruhe zwingen. Sein Privatleben, einmal beim Namen genannt, schien nun wie durch ein Guckloch, wie durch eine winzige Luke einsehbar. So nah hatte sich Arkadij bisher nie an ihn herangewagt. Bald würde er auf gleicher Augenhöhe mit ihm sprechen wollen. Konrad hatte immer tunlichst vermieden, von sich persönlich zu erzählen. Ein geistig verwirrter Mensch greift nach jedem Strohhalm. Er ist scharfsichtiger als der Normale darin, jede Schwäche seines Gegenübers zu entdecken, ihn an sich heranzuziehen, zu binden und gefügig zu machen.
    «Ein Problem würde ich das nicht nennen», erwiderte Konrad kühl. «Ich muss das Auto einfach finden.»
    «Gewiss doch. Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Wenn dieses Wort ein Problem für Sie ist, können wir gern ein anderes verwenden.»
    «Kein Problem», sagte Konrad.
    «Wir alle suchen und müssen etwas finden. Ich könnte Ihnen helfen. Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Verstehen Sie? Ich Ihnen, Sie mir.»
    Er schlenkerte mit dem Zeigefinger zwischen sich und ihm hin und her.
    «Gut. Aber wie könnten Sie mir denn helfen?»
    «Ich begleite Sie auf Ihrer Suche. Wir fahren zusammen aufs Land.»
    «Aha», lachte Konrad erleichtert. «Wieder eine Expedition.»
    Arkadij konnte nicht darüber lachen. Seine Mimik und seine Züge waren feiner geworden, vielleicht war es ihm in den letzten Wochen wirklich gelungen, die Medikamente zu verweigern. Doch in seiner neuen Offenheit wirkte er desto unsicherer. Diesen Blick sah Konrad zum ersten Mal. Gerade in diesem aufrichtigen, persönlichen Angebot schien Arkadij eine Zurückweisung zu fürchten.
    «Gut, nehmen wir einmal an, wir fahren noch mal los. Was bringt Sie denn zu der Annahme, dass Sie diesmal fündig werden?»
    «Es bleiben nicht mehr so viele Möglichkeiten. Beim letzten Mal war ich schon dicht dran, und mit Ihnen zusammen wird es viel einfacher sein. Allein ist es schwer. Ich hatte ja kein Auto.»
    Konrad verkniff sich ein Lachen.
    «Stimmt. Sie haben ja auch keins. Jedenfalls keinen Mercedes.»
    Dann trat Stille ein. Arkadij sah ihn an. Auch dieser ruhige Blick schien neu, das Flackernde war verschwunden.
    «Aber Sie können uns einen Wagen besorgen, oder? Ihnen wird man wohl ein

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