Der wahre Sohn
bekam. Pornobilder. Eine Haarsträhne. Weiße Damenstiefel in der untersten Schublade eines Aktenschrankes. Derartiges würde er hier nicht mehr finden.
Eine einzige Karte des Kiewer Gebiets entdeckte er. Konrad versuchte, die Markierungen zu verstehen. Er suchte nach Hinweisen auf den Mercedes, obwohl diese Eintragungen aus einer Zeit stammen mussten, als der Wagen noch gar nicht vom Band gelaufen war.
«Wie ist die Miliz damals eigentlich auf Ihren Sohn gekommen?»
«Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte mein eigenes Kind angezeigt?!»
«Nein, aber was haben Sie getan, als die Männer kamen, um ihn abzuholen? Haben Sie das einfach zugelassen?»
«Stundenlang haben sie alles durchsucht. Es war, als wühlten sie in meinen intimsten Dingen – in meiner Handtasche, ohne dass ich weiß, was darin ist. Das eigene Kind, da hängt man automatisch mit drin. Wenn Arkadij Böses getan hatte, betraf das auch mich. Ich fürchtete, sie könnten etwas unglaublich Schlimmes bei ihm finden.»
«Sie hatten ja wirklich blindes Vertrauen zu Ihrem Sohn. Wo war Ihr Mann zu der Zeit? Warum hat er ihn nicht in Schutz genommen?»
«Mein Mann war – ich glaube, sie sind absichtlich gekommen, als er nicht zu Hause war. Mein Mann war gerade degradiert worden. Jemand hatte ihn denunziert. Damals bekam er einen Herzinfarkt.»
«Einen Herzinfarkt? Das ist ja was Neues.»
«Hier ist Ihr Bett. Wenn Sie so weitermachen, kriegen Sie bald auch einen.»
Am Abend holte Konrad seine Sachen aus dem Hotel und übernachtete das erste Mal bei ihr.
Konrad begriff, dass seine Tage sich jetzt grundlegend ändern würden. Er konnte nicht mehr stundenlang im Bett liegen. Svetlana klopfte am Morgen an die Tür und weckte ihn. Sie akzeptierte es nicht als Arbeit, wenn er am Küchentisch über seinen Konstellationen grübelte.
«Fangen Sie auch schon an wie Arkadij!», rief sie, als sie zum ersten Mal eine seiner Zeichnungen sah. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben.
«Das hier sind Sie!», erklärte er ihr, «in diesem Kreis. Sie stehen im Zentrum.»
«Nicht besonders gut getroffen», sagte sie geschmeichelt. Ihr trockener Humor führte ihn oft in die Irre, er lag immer haarscharf an der Grenze zur Verärgerung. Wenn er sich zu viel herausnahm, wurde sie wirklich böse. Svetlana behandelte ihn zwar manchmal wie ein Kind, duldete aber keinesfalls, dass er selbst sich wie eins aufführte. Wenn er zu lange zu Hause saß, wurde sie fuchtig und machte hektisch in der Küche herum. Egal, wie er den Stuhl stellte, immer saß er ihr im Weg. Deshalb brach er lieber nach dem Frühstück in die Stadt auf, so wie andere Männer zur Arbeit gingen. Erkundung nannte er das für sich. Er wollte Svetlana beweisen, dass er es ernst meinte mit dem Auto, dass er sich bei ihr nicht wie in einem Sanatorium einnistete. Jeden Tag ging er hinunter und eilte forschen Schrittes in die einmal eingeschlagene Richtung, die im Grunde gleichgültig war. Sobald er weit genug von ihrem Haus entfernt war, ließ er sich merklich entspannter von seinen Eindrücken treiben. Er musste zugeben, dass er jede Witterung verloren hatte. Ohne Mazepa war die Sache ziemlich aussichtslos – und in Deutschland wartete niemand mehr auf Nachrichten von ihm.
Das hieß nicht, dass das Auto nicht mehr gebraucht wurde. Es diente nun als Rechtfertigung für ihre bizarre Zweisamkeit. Svetlana, die sich zuvor immer gern darüber lustig gemacht hatte, erkundigte sich jetzt regelmäßig nach seinen Fortschritten.
Auf den Eingangsstufen eines herrschaftlichen Gebäudes mit Säulen an der Fassade lagerte eine ganze Bauernfamilie, in Lumpen und mit vollgestopften Beuteln. Konrad blieb stehen und fragte eine jüngere Frau, was sie hier suchten. Sie antwortete lebhaft und schnell, als hätte sie nur auf die Frage gewartet. Er hatte Schwierigkeiten, ihrem ukrainischen Wortschwall zu folgen. Irgendein Unrecht sei begangen worden, der Präsident müsse davon erfahren und die Sache richten. Die Frau trug ein Kopftuch, Strähnen ihres blonden Haars kamen darunter hervor. Die Augen waren von einem hellen Wasserton, das Gesicht gebräunt und ziegelrot zugleich. Man hätte die Frau schön nennen können, wäre nicht diese Härte in ihren Zügen gewesen. Aber wenn die Menschen hier schon mehrere Tage auf den kalten Steinen ausharrten, wie sie sagte, dann konnten sie nur hart sein, dann mussten sie von ihrer Sache überzeugt sein. Oder waren sie einfach nur verstockt und rechthaberisch wie die Kulaken, die damals
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