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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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schließlich war der vom Narkompros *** genehmigte Plan eine Sache, eine ganz andere jedoch war das reale Leben, in dem jeden Tag etwas dazukam, sich etwas änderte oder einfach nur verkomplizierte. Und auch jetzt konnte sich der Schuldirektor nicht mehr entsinnen, welche Erziehungs- und Arbeits-Exkursionen in Moskauer Fabriken für diesen Herbst geplant waren. Es gelang ihm einfach nicht. Sein Gedächtnis war nicht mehr das alte. Der Himmel verdunkelte sich. Wie Trauben hingen die Sterne an unsichtbaren Reben. Der Lärm der großen Hauptstadt ließ nach.
    Direktor Banow kletterte vom Dach und ging in sein Büro. Bevor er sich an seinen breiten Schreibtisch setzte, zündete er den Petroleumkocher an, rüttelte ihn ein wenig auf und stellte den Teekessel mit etwas Wasser darauf.
    Er ergriff die vom Narkompros genehmigten Pläne, sah sie durch und räumte sie sogleich in die oberste Tischlade. Dann hing er wieder seinen Gedanken nach.
    Plötzlich schrillte das Telefon und Banow, der den schwarzen Apparat unverwandt anstarrte, war kurz einer Ohnmacht nahe. Schließlich war niemand mehr in der Schule, was zu dieser späten Stunde auch nicht zu erwarten war, und es schien, als ob der Apparat lebendig wäre und wüsste, dass er, Wasilij Wasiljewitsch Banow, gerade in seinem Zimmer saß und Tee zu trinken vorhatte.
    Schließlich nahm der Schuldirektor den Hörer doch ab.
    „Genosse Banow?“, fragte eine klare männliche Stimme.
    „Ja.“
    „Hier spricht Burtenko, Narkompros, der Nachtdienst. Zu Ihnen ist ein Bote mit einem Paket unterwegs. Behandeln Sie die Sache sehr ernsthaft! Auf Wiederhören!“
    Und der auf den Tisch gelegte Hörer gab kurze Signaltöne von sich.
    Das Wasser kochte. Wasilij Wasiljewitsch machte das Feuer des Petroleumkochers aus und legte den Telefonhörer auf den Apparat.
    Bald hörte er es klingeln. Nun musste er aufstehen und ins Erdgeschoß gehen, um dem Boten die Tür zu öffnen.
    Unten durchquerte er den von einem roten Notlicht schwach beleuchteten Korridor und hörte erneut das ungeduldige Klingeln. Er beschleunigte seinen Schritt, öffnete die Tür und da begegnete er auch schon dem unzufriedenen, verkniffenen Blick eines mageren Mannes in mittleren Jahren, der eine Militäruniform trug.
    „Ihr Paket!“, sagte der Mann mit Nachdruck und überreichte ihm ein sperriges, in Papier verpacktes Paket mit einem Stempel aus Siegellack.
    Immer noch verblüfft nahm der Schuldirektor das Paket entgegen und wollte den Boten einladen, mit ihm auf einen Tee in den ersten Stock zu kommen, aber dieser drehte sich um und verschwand ohne Abschied im Halbdunkel der Dajew-Gasse.
    Nachdem Wasilij Wasiljewitsch Banow die Tür abgeschlossen hatte, kehrte er in sein Büro zurück, gab eine Prise georgischen Tees in die Teekanne, setzte sich und nahm den Inhalt des Pakets in Augenschein.
    In dem Paket waren zwei gewöhnliche Kuverts. Eines enthielt ein umfangreiches Päckchen mit neuen pädagogischen Empfehlungen, und im zweiten befand sich ein einziges Blatt, auf dessen unterem Teil nach dem in Druckbuchstaben getippten Text ein dicker violetter Stempel mit dem Landeswappen im inneren Kreis prangte. In einer Spalte daneben befanden sich drei geschwungene Unterschriften – jede eigens für sich stehend –, „Anordnung“, begann Banow zu lesen und bewegte dabei stumm die Lippen. „Hiermit wird angeordnet, am Montag, den 13. September dieses Jahres, in allen Schulen der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken inklusive der Schulen des diplomatischen Korps, der Konsulate und der Handelsvertretungen, die sich im Ausland befinden, einen einheitlichen Unterrichtstag nach besonderem Programm durchzuführen. Dieser Unterrichtstag muss zur Gänze und für alle Schüler ab der dritten Klasse dem Schreiben eines Aufsatzes über eines der unten angeführten Themen gewidmet werden. Die Zeit für das Schreiben des Aufsatzes beträgt sechs Stunden ohne Unterbrechung. Wenn nötig, kann diese Zeit verlängert werden. Die Schuldirektoren und Lehrer sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass aufgrund von triftigen Gründen fehlende Schüler diesen Aufsatz in der vorgegebenen Zeit außerhalb der Wände des Schulgebäudes schreiben. Jeder Aufsatz wird auf einzelne Doppelbögen aus Schulheften geschrieben. Auf der ersten Titelseite sind der Vor-, Vaters- und Nachname des Schülers, die Klassenund Schulnummer, die Wohnadresse sowie das gewählte Thema anzuführen. Nach der Fertigstellung sind die Aufsätze nach Klassen

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