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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Richtung, „dort konnte man früher den Kreml sehen, den Erlöserturm. Ich habe früher unsere Vorzugsschüler abends oder tagsüber heraufgebracht. Vor einem Jahr zum letzten Mal.“
    „Robert hat mir davon erzählt, er hat ja auch zu den Besten gehört“, sagte Klara.
    „Und wie schaut’s jetzt bei ihm aus?“, fragte Banow, der sich selbst wunderte, dass er sich nicht früher über Roberts Noten erkundigt hatte.
    „Schlechter. Sogar Dreier tauchen jetzt auf.“
    „Da sehen Sie“, sagte der Schuldirektor vorwurfsvoll. „Die schulischen Leistungen hängen nämlich von solchen Kleinigkeiten ab! Sie haben ja gar keine Vorstellung. Sogar von der Arbeit der Schulkantine hängen sie ab. Ich habe das überprüft!“
    Klara seufzte so tief, dass Banow sofort verstummte. Er sah die Frau aufmerksam an und, obwohl es dunkel war und sie fast einen Meter von ihm entfernt saß, bemerkte er auf ihrem Gesicht Missvergnügen.
    Bin ich denn wirklich so ein Langweiler?, kritisierte sich Banow in Gedanken selbst und sagte sogleich mit fröhlicherer Stimme:
    „Übrigens hat Robert gesagt, dass Sie davon geträumt haben, Pilotin zu werden und Fallschirm springen wollten! Wir können doch davon träumen, dass ich gemeinsam mit Ihnen Fallschirm springe!“
    „Na gut!“, stimmte Klara zu, und es kam Banow vor, als ob sich ihre Stimme belebte.
    „Das ist doch nicht schwer! Wenn Sie das wirklich wollen, dann könnte man bestimmt bei den Fluggesellschaften Osoawiachim oder Dobrolet herausfinden, wie man zum Fallschirmspringen kommt. Soll ich es herausfinden?“
    „Ja …“, sagte die Frau.
    „Und ich habe davon geträumt, in der Kavallerie zu kommandieren … Ich mochte Pferde schrecklich gerne. Es ist eigentlich furchtbar, das einzugestehen, aber damals mochte ich Pferde mehr als Menschen. Ich beobachtete sie nämlich und habe kein einziges Mal gesehen, dass ein Pferd ein anderes umbringen wollte. Ich stellte mir also vor, wie ich vorausreite und Hunderte Pferde und Reiter hinter mir herjagen. Das ist natürlich so eine Sache, obwohl ich Pferde mehr mochte als Menschen, wollte ich mir nicht einfach eine Herde von Pferden hinter mir vorstellen. Hunderte Reiter sind eine andere Sache. Aber aus mir ist kein Kommandant geworden. Und so träume ich jetzt davon, Pferde zu halten …“
    „Und wo wollen Sie sie unterbringen?“, wunderte sich Klara.
    „Das ist natürlich schwierig. Aber ich kenne einen Ort im Stadtzentrum, einen wundervollen Platz … dort haben Menschen Pferde … Vielleicht kann ich Ihnen diesen Ort einmal zeigen … Ich weiß es nicht. Dort ist man sehr streng mit Besuchern. Und Sie, mögen Sie Pferde?“
    „Pferde? Ja“, nickte Klara. „Als Kind hat mir mein Großvater beigebracht, wie man richtig auf ein Pferd aufsteigt, wie man im Galopp reitet …“
    Klara erzählte und erzählte. Schon kam sie auf ihren Großvater zu sprechen, der Bergbauingenieur gewesen war, und bald erinnerte sie sich an einen Dampfer auf der Wolga – auf diesem Dampfer war ihre Familie aus Kasan gekommen – und ihre Stimme, die nun ganz lebhaft war, klang so süß und angenehm, wie nur die Stimme eines lebensfrohen Menschen klingen konnte. Banow hörte ihr zu und war wie berauscht. Seine Freude war aufrichtig, und sie vermischte sich nur ein klein wenig mit seinem Stolz darauf, dass es ihm trotz allem gelungen war, diese Frau zum Reden zu bringen, deren Leben in letzter Zeit so schwer gewesen war, und dass er, wenn er sie schon nicht aufheitern konnte, ihr doch Optimismus zu vermitteln vermocht hatte, ohne den in diesem riesigen Land ein richtiges Leben unmöglich war.
    Dann entstand eine kleine Pause – sie tranken den süßen Tee, der nun schon ein wenig kalt geworden war, und das erinnerte Klara wiederum an die große, breite Veranda einer alten Villa, die entweder ihrem Onkel oder einem anderen Verwandten gehört hatte. Auch dort hatten sie Tee getrunken, und der Tisch hatte sich unter zwei Dutzend unterschiedlicher Törtchen gebogen …
    Der Abend war frisch, und die Sternschnuppen, die vom Himmel herabsanken, leuchteten unterschiedlich hell.
    Plötzlich war von oben her ein Echo zu hören, schallend und gewaltig, und hierauf ertönte vor diesem Hintergrund ein noch lauterer Ton, der Klara an das Läuten von Glocken erinnerte. Der Ton war ihr vertraut, aber so laut hatte sie ihn noch nie gehört, und deshalb drehte sie sich zu Banow um und fragte ihn etwas, aber wegen dieses Tons, der die Luft erfüllte, verstand er sie

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