Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Willie.
    »Dann werden wir uns verstecken«, erwiderte Jonathan.
    Weiter unten am Abhang verlief der Weg durch einen Wald. Die Morgensonne ließ den Waldboden blassgrün schimmern. Die Baumwurzeln waren von Moos überwuchert, Efeu rankte sich die Stämme hinauf. Sie hörten eine Taube gurren. Dann führte ein Pfad aus den Bäumen heraus zum Waldesrand. Ein Rebhuhn flatterte vor ihnen aus dem hohen Gras auf. Und hundert Meter weiter brach ein Auerhahn mit seinem leierförmigen Schwanz blitzschnell und flügelschlagend aus den Baumwipfeln hervor. Offenbar war er von etwas gestört worden.
    »Jetzt hast du dich ganz schön erschrocken«, sagte Jonathan.
    »Du aber auch.«
    Kurz darauf erreichten sie den Talboden, und sie wussten sofort, dass der Drache sich jeden Moment zeigen konnte.
    Die Umgebung von Bisterne war bretteben. Die großen Felder des Gutes erstreckten sich mehr als drei Kilometer nach Westen bis zu den silbrigen Wassern des Avon. Im Frühjahr geschah es öfter, dass der Avon anstieg und die fruchtbaren Auwiesen mit einem zauberhaft schimmernden flüssigen Schleier überzog. Das Gutshaus selbst – es handelte sich eher um eine Jagdhütte für die Ritter aus dem Hause Berkeley – bestand aus einer Halle aus verputzten Holzbalken mit angrenzenden Stallungen. Es stand allein mitten auf einer baumlosen Wiese, wo Rinder weideten und Hasen in einem Pferch auf dem kurz geschorenen Gras umhersprangen. In der Ferne sah man die Hügelkette, hinter der sich Burley Beacon befand. Hin und wieder reckten Eichen und Ulmen ihre kahlen Äste gen Himmel, wie um dem geflügelten Ungeheuer einen Landeplatz zu bieten, wenn es vom Beacon herunterkam.
    Es war still. Ab und zu hörten die Jungen eine Kuh muhen oder vernahmen das Rauschen von Schwanenflügeln über dem fernen Wasser. Auch die Krähen ließen von Zeit zu Zeit in den Bäumen ein heiseres Krächzen und Flattern ertönen. Doch sonst regte sich nichts in Bisterne, als bereite sich die ganze Natur auf eine Erscheinung vor.
    Auf den Feldern war kaum jemand zu sehen. Etwa hundert Meter südlich der Halle stand ein kleines, strohgedecktes Bauernhaus, umgeben von einigen Eschen. Als die Jungen auf dem Viehpfad einem Kuhhirten begegneten, fragten sie ihn höflich, wo der Drache getötet worden sei. Der Mann lächelte, zeigte auf ein Feld hinter dem Bauernhaus und sagte: »Das da ist das Drachenfeld.«
    Noch etwa eine Stunde gingen sie weiter die Pfade entlang und hinunter zum Fluss. Am Sonnenstand konnten sie erkennen, dass es Mittagszeit war. Willie verkündete, er habe Hunger.
    Unten am Fluss, unweit von Tyrrells Furt, standen einige Hütten und eine alte Schmiede. Um keinen Verdacht zu erregen, erklärte Jonathan, sie kämen aus dem nahe gelegenen Ringwood, und erbettelte ein wenig Brot und Käse, die ihnen die Bewohnerin einer der Hütten gerne gab. Dann fragte er die Bäuerin nach dem Drachen.
    »Es ist schon mehr als zwanzig Jahre her, dass er getötet wurde«, antwortete sie.
    »Ja. Aber was ist mit dem neuen?«
    »Den habe ich noch nicht gesehen«, erwiderte sie mit einem Lächeln.
    »Vielleicht ist er gar nicht hier«, meinte Willie zu seinem Freund, während als sie am Ufer Brot und Käse verzehrten.
    »Sie hat nur gesagt, sie hätte ihn nicht gesehen«, entgegnete Jonathan.
    Nach dem Essen schliefen sie ein wenig in der warmen Sonne.
    Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, als sie den Hügel am Bauernhaus hinaufstiegen. Dass es ihnen vor dem Heimweg graute, ließen sie sich nicht anmerken. Aber sie wussten, dass sie sich sputen mussten, wenn sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein wollten.
    Sie hatten bereits die Hälfte des Abhangs zurückgelegt, als sie einer Herde von etwa einem Dutzend Kühen begegneten, die von einem Jungen zum Bauernhaus getrieben wurde. Der Junge, ein wenig älter als sie, schätzungsweise zwölf, betrachtete sie neugierig. »Woher kommt ihr?«
    »Das geht dich nichts an.«
    »Ihr habt wohl Lust auf eine Tracht Prügel?«
    »Nein.«
    »Ich muss mich sowieso um die Kühe kümmern. Was wollt ihr hier?«
    »Uns den Drachen anschauen.«
    »Das Drachenfeld ist da drüben.«
    »Das wissen wir. Man hat uns erzählt, es gäbe einen neuen Drachen, aber das stimmt offenbar nicht.«
    Der Junge betrachtete sie nachdenklich. »Doch. Deshalb muss ich ja die Kühe einsperren.« Er hielt inne und nickte. »Er kommt jeden Abend, genauso wie der letzte. Von Burley Beacon.«
    »Wirklich?« Jonathan musterte ihn forschend. »Das

Weitere Kostenlose Bücher