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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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allen Richtungen waren Jagdgesellschaften eingetroffen, um sich Colas Führung zu unterstellen. Das königliche Gut bestand aus einer kleinen Ansammlung von Holzhäusern. Auf einem flachen Hügel im Eichenwald befand sich eine eingefriedete Koppel. Ein Stück weiter entfernt, im Südosten, wurde der Wald von einigen Lichtungen unterbrochen. Jenseits davon erstreckte sich eine große Wiese und eine Moorlandschaft. Cola führte alle Anwesenden zu der großen Wiese, um die Falle in Augenschein zu nehmen.
    Noch nie hatte Adela so etwas gesehen. Die Falle war gewaltig. An ihrem Eingang erhob sich ein niedriger, mit Gras bewachsener Hügel, zweihundert Meter südöstlich davon trennte eine gerade, einen knappen Kilometer lange, schmale natürliche Anhöhe die grüne Wiese von einer braunen Heide. Dort wo die Anhöhe im Südosten flacher wurde, hatte der Mensch sie künstlich erhöht. Auf der der Wiese zugewandten Seite verlief ein tiefer Graben, dahinter kam ein Erdwall mit einem soliden Zaun, der nach einem Stück geraden Verlaufs eine fast unmerkliche Innenkurve beschrieb, die Wiese überquerte und durch den Wald und die Lichtungen nach Westen führte, bis er schließlich die Gebäude erreichte. Das war die Palisade von Lyndhurst.
    »Das ist ja wie eine Festung im Wald!«, rief Adela aus. Für die Hirsche war es unmöglich, diese Einfriedung zu überspringen, sodass die Jäger sie unweigerlich in ihre Netze treiben würden.
    »Heute werden wir etwa hundert Hirsche fangen.« Edgar, Colas jüngerer Sohn, hatte sich zu Adela gesellt. Er erklärte ihr, dass die Jagd in der Palisade stets sorgfältig vorbereitet wurde. Nachdem die gewaltigen Rudel in die Falle getrieben worden waren, wurden die trächtigen Kühe ausgesondert und nur die übrigen und auch die Böcke getötet. Wenn Cola hundert Stück beisammen hatte, würde man den Rest wieder freilassen.
    Adela genoss die Gesellschaft des hübschen jungen Angelsachsen. Wie immer hatte Walter sie einfach stehen gelassen. Sie sah, wie er, ins Gespräch vertieft, neben Hugh de Martell herschlenderte und sein Pferd am Zügel führte, und sie fragte sich, ob er sie wohl mit dem Normannen bekannt machen würde. Vermutlich nicht, dachte sie. »Kennt Ihr den Mann, mit dem mein Vetter gerade spricht?«, erkundigte sie sich bei Edgar.
    »Ja, allerdings nicht sehr gut.« Kurz zögerte er. »Mein Vater hält große Stücke auf ihn.«
    »Und Ihr?« Ihr Blick war noch immer auf Martell gerichtet.
    »Oh.« Er klang verlegen. »Er ist ein mächtiger normannischer Grundherr.«
    Adela blickte ihn an. Was hatte das zu bedeuten? Dass Edgar als Sachse keine hohe Meinung von den Normannen hatte? Dass er Martell herablassend fand? Dass er womöglich gar ein wenig neidisch auf den Ritter war?
    Inzwischen hatte sich auf der Wiese neben dem Hügel eine ziemlich große Menschenmenge versammelt: Reiter, Männer mit Ersatzpferden, solche mit Wagen, um die Beute wegzuschaffen, und verschiedene Schaulustige. Ein Mann fiel Adela besonders auf. Er steuerte gerade auf einen Wagen zu, auf dem sich Zäune aus Flechtwerk türmten. Der Mann war gedrungen, hatte buschige Augenbrauen und ging vornübergebeugt; er erinnerte Adela eher an einen zu klein geratenen, aber kräftigen Baum als an ein menschliches Wesen. Dann bemerkte sie, dass Edgar ihn im Vorbeigehen grüßte und dass der Bauer diesen Gruß mit einem leichten Nicken erwiderte. Sie fragte sich, wer er wohl sein mochte.
    Allerdings hatte sie keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Cola stieß ins Jagdhorn. Die große Treibjagd begann.
    Eigentlich handelte es sich dabei eher um eine ganze Reihe von Treibjagden. Das Gebiet rings um Lyndhurst war in verschiedene Bereiche aufgeteilt worden. Die Jäger bildeten Trüppchen, die sich sorgfältig in dem Gelände verteilten, für das sie zuständig waren, um so viele Hirsche wie möglich zur Mitte zu treiben. Dazu bedurfte es einiger Erfahrung, damit es den Hirschen nicht gelang, sich zu verstecken oder am äußeren Rand zu entkommen. Wenn alle Hirsche in einem Bereich zusammengetrieben waren, schickte man die Jäger weiter zum nächsten, und so ging es einige Male, bis Cola befand, dass sie genug Tiere eingefangen hatten.
    Im Wald konnten einige Hirsche sich noch unbemerkt aus dem Staub machen, doch je näher sie der großen Falle kamen, desto aussichtsloser wurde jeder Fluchtversuch. Als Adela sich umsah, bemerkte sie weitere, kleinere Erdwälle und Zäune, die strahlenförmig vom Eingang abzweigten,

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