Der Wald der Könige
Betty sich immer mehr in ihr Haus zurück wie eine Muschel in ihre Schale. Hin und wieder besuchte sie Nachbarn oder kaufte in Lymington ein, aber das Haus wurde der Mittelpunkt ihres Lebens. Adelaide leistete ihr Gesellschaft, und als die Jahre vergingen, ergriffen die Schatten der Vergangenheit immer mehr Besitz von ihnen. Und der wichtigste von ihnen war Alice.
»Wenn ich mir vorstelle, dass ich in jener schrecklichen Nacht mit Peter hier war!«, rief Betty von Selbstvorwürfen gequält aus. Und es nützte nichts, sie darauf hinzuweisen, dass sie machtlos gewesen wäre. »Wir hätten überhaupt nicht nach Moyles Court fahren sollen.« Auch das stimmte möglicherweise, konnte das Geschehene aber nicht rückgängig machen. »Nur wegen Peter ist sie aus London abgereist.« Das war ebenfalls wahr – Tryphena hatte es ihr erklärt –, half jedoch niemandem mehr.
Adelaide war eine vernünftige und recht lebensfrohe junge Frau mit einem starken Willen. Doch das ständige Herumrühren in der Tragödie und die Trauer ihrer Mutter waren nicht folgenlos an ihr vorübergegangen.
Und zu allem Überfluss hatten diese schrecklichen Ereignisse einen Namen, dessen dunkler Schatten sich wie finstere Gewitterwolken über alles legte: Penruddock.
Inzwischen gab es im New Forest keine Penruddocks mehr. Die Familie in Hale war schon zu Anfang des Jahrhunderts fortgezogen. Die Penruddocks aus Compton Chamberlayne bewohnten zwar noch ihr Haus, das jedoch sechzig Kilometer entfernt in einer anderen Grafschaft lag. Also war Adelaide noch nie einem Penruddock persönlich begegnet. Aber sie wusste genau, was sie von dieser Familie zu halten hatte.
»Natürlich sind sie alle Royalisten«, pflegte Betty zu sagen. »Und außerdem hinterhältig. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Mutter versucht hat, ihnen in der Not zu helfen. Und das war ihr Dank dafür.«
Die Albions hatten – ebenso wie die Prides – nie ganz verstanden, dass es eigentlich die Furzeys gewesen waren, die Alice aufs Schafott gebracht hatten. Doch für die Penruddocks hatten sie auf jeden Fall nur kalte Verachtung empfunden. Von einer Adelsfamilie war ein Verrat nicht hinzunehmen.
»Sich die ganze Nacht mit seinen dreckigen Soldaten um unser Haus herumzudrücken. Die Tür aufzubrechen. Zuzulassen, dass seine Männer Mutters Wäsche stehlen. Und sie dann im Nachthemd auf das Pferd eines Soldaten zu verfrachten. Es ist eine Schande, so mit einer alten Frau umzuspringen!«, rief Betty, Wut und Verachtung in den Augen, aus. »Pfui!«
Adelaide konnte sich Oberst Penruddock mit seinem düsteren Gesicht und seiner grausamen, rachsüchtigen Art bildlich vorstellen. »Diese Leute«, sagte Adelaide zu Fanny, »sind böse und gemein. Halt dich von ihnen fern.«
Diese Warnung wiederholte sie auch an jenem Abend, und Fanny versicherte ihr, sie werde jeden Kontakt tunlichst vermeiden.
In diesem Moment ertönte ein Geräusch, das die beiden Frauen erschrocken herumfahren ließ. Es war ein keuchendes, raues Husten, gefolgt von einem Röcheln. Der alte Francis Albion hatte es ausgestoßen. Offenbar rang er nach Atem. Fanny erbleichte, stand auf und eilte an seine Seite. »Sollen wir den Arzt rufen lassen?«, flüsterte sie. »Vater scheint…«
»Nein, das ist nicht nötig.« Adelaide blieb seelenruhig sitzen.
Inzwischen hatte Francis die Augen aufgeschlagen, doch er verdrehte sie derart, dass einem Angst und Bange werden konnte. Sein Gesicht war weiß wie ein Leintuch. Dann begann er wieder zu husten.
»Tante Adelaide!«, rief Fanny. »Er…«
»Nein, ihm fehlt gar nichts«, erwiderte ihre Tante missbilligend und wandte sich dann an den alten Hausherrn. »Hör auf, so zu tun, als würdest du gleich sterben, Francis.« Verärgert drehte sie sich wieder zu Fanny um. »Siehst du denn nicht, mein Kind, dass er versucht, deine Reise nach Oxford zu verhindern?«
»Tante Adelaide! Wie kannst du dem armen Papa so etwas unterstellen?« Francis Albion schnappte nach Luft, und seine Tochter erklärte, dass sie niemals die Reise antreten werde, wenn er sich nicht wohl fühle.
»Papperlapapp«, schimpfte Tante Adelaide. Aber das schreckliche Gekeuche ging weiter.
Isaac Seagull, der Wirt des Angel Inn, ließ sich die feuchte Meeresluft ins Gesicht wehen und blickte zum Penningtoner Marschland hinüber.
Er war ein hoch gewachsener, drahtiger Mann und so groß wie Grockleton, wenn er sich gerade hielt. Doch für gewöhnlich beugte er seinen rundlichen Kopf nach vorne. Wie bei
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